Die Karl-May-Welt fragt sich, wie es nach dem 27. Juni, dem Tag der entscheidenden Sitzung von Kuratorium und Vorstand der Karl-May-Stiftung, weitergehen wird. Was wird geschehen? Wird das Kuratorium ein Machtwort sprechen oder wirft der Vorstand entnervt hin?
Wir skizzieren ein paar Szenarien, in denen Realismus und Science Fiction zuweilen nahe beieinander liegen.
1. Modell „Heiter weiter“
Das Kuratorium könnte überwiegend der Meinung sein, dass Christian Wacker als Nestbeschmutzer unnötigen Staub aufgewirbelt habe und dass seine Vorwürfe ungerechtfertigt oder zumindest übertrieben seien. Sie sprechen dem Vorstand daher ihr Vertrauen aus und belassen das Trio Infernal Harder/Wendsche/Voigt im Amt. Mit-Vorstand Thomas Grübner schmeißt nun endgültig hin.
Der Vorstandsrumpf fühlt sich bestätigt und macht – frei nach dem Motto „Führung bedeutet Durchhaltevermögen“ – weiter. Er setzt Ralf Harder als neuen Geschäftsführer und Museumsdirektor ein, der das Amt bereits 2018 für kurze Zeit innehatte, als die Vorgängerin Wackers fristlos gekündigt worden war. Harder ist am Ziel seiner Träume, dankt Kuratorium und Vorstand für das Vertrauen und verkündet die Rückkehr des Elbbeobachters (in der ersten Ausgabe gleich mit einem Interview aus dem Jenseits, in dem Karl May Chefredakteur Harder erklärt: „Sie sollten mein Erbe sein!“.)
Er sorgt für die Entfernung streitbarer Geister aus dem Kuratorium, und mit diesem klaren Zeichen strecken auch mehrere Museumsmitarbeiter die Waffen und verlassen ihre bisherige Wirkungsstätte. Ralf Harder setzt im Kuratorium als Ersatz Mitglieder der kürzlich passenderweise aufgelösten „Arbeits- und Forschungsgemeinschaft ‚Karl May‘ in Sachsen“ ein. Die Realisation der Museumsvision wird vor diesem Hintergrund auf 2050 verschoben.
Wahrscheinlichkeit: gering
2. Szenario „Die Rochade“
Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, aber die aktuellen „Macher“ nicht zu verlieren, wechseln Mitglieder des Vorstands in das Kuratorium und Kuratoriumsmitglieder in den Vorstand. Alle betonen die Unterschiedlichkeit der Aufgaben und schließen Interessenkonflikte aus. Allerdings bedeutet dieses Szenario auch, dass die Belegschaft sich nicht ernstgenommen fühlen wird. Im schlimmsten Fall hinterfragt die Stiftungsaufsicht das Postengeschiebe. Auch wird – bei dieser Art der Lösung – vermutlich kein neuer Geschäftsführer gefunden werden und die Museumsvision bleibt unerreichbar.
Wahrscheinlichkeit: möglich
3. Modell „Die Revolution“
Das Kuratorium löst die Situation mit einem Paukenschlag. Es jagt den bisherigen Vorstand aus dem Amt und löst sich danach auf, um der Kritik in puncto Filz und Seilschaften die Grundlage zu entziehen und eine neue Struktur von Stiftung und Museum zu ermöglichen.
Daraufhin wird die Stiftung komplett neu aufgestellt und erhält einen neuen Vorstand, der personell durch Vertreter verschiedener Karl-May-Institutionen gemanagt wird, darunter vor allem Karl-May-Gesellschaft und Karl-May-Verlag. Unter deren gemeinschaftlicher Leitung wird das Museum in die sächsische Museumslandschaft eingebunden, etwa in die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, und fortan als Ableger des GRASSI Museums für Völkerkunde zu Leipzig betrieben. So werden Bedenken von Fördermittelgebern zerstreut und Synergien genutzt; die Museumsvision rückt in greifbare Reichweite.
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden setzen Robin Leipold als Leiter des Museums ein. Robin wer? Robin Leipold ist seit sechs Jahren Sammlungsleiter im Karl-May-Museum, kuratiert dort die Ausstellungen und forschte bereits in den Bereichen Provenienz- und Museumsgeschichte. Als Teamworker mit weitreichenden Erfahrungen und Vernetzungen, sowohl in der Indianistik- als auch Karl-May-Szene, gälte er als Rettungsanker, vor allem auch, wenn man die Perspektive der Belegschaft berücksichtigt, die sich klar gegen den derzeitigen Vorstand und Interimsgeschäftsführer Wagner ausgesprochen hatte. Leipold hat zudem einen weiteren Vorteil: Er ist Jahrgang 1987 und damit Vertreter einer jungen Generation, die Museum und Stiftung gut tun könnte. Ein Museumsbeirat aus Experten unterstützt bei Publikationen und Ausstellungen. Die bisherige Belegschaft des Karl-May-Museums atmet auf und setzt ihre Arbeit fort.
Wahrscheinlichkeit: möglich
4. Modell „Kosmetik & Umbrüche“
Die Kuratoren haben erkannt, dass sie etwas tun müssen, damit der öffentliche Druck nachlässt. Allerdings wollen sie kein Zeichen setzen, das einem Schuldeingeständnis gleich käme. Daher entscheiden sie sich für kosmetische Maßnahmen: Für den Vorstand werden daher personelle Veränderungen angekündigt, allerdings so, dass niemand gehen muss, der nicht will. Ergänzend holt man – hauptsächlich zur Beruhigung der Museumsbelegschaft und der Öffentlichkeit – neue Leute ins Team: Radebeuls Baubürgermeister (sollte er unter 60 sein) ebenso wie eine starke, idealerweise weibliche Persönlichkeit aus der professionellen Museumslandschaft. Damit würde man auch den Kritikern, die die Stiftung als ein reines Netzwerk überwiegend älterer Herren beschreiben, entgegenkommen. Auch im Kuratorium selbst setzt man auf kosmetische Maßnahmen: Älteren Kuratoren werden Klara-May-Medaillen in die Hände gedrückt, und sie werden ehrenvoll verabschiedet, um Platz für einige frische Kräfte zu schaffen, vor allem jüngere und auch weibliche – und am besten welche, die auch „Internet“ können.
Vor dem Hintergrund dieses Hoffnungsschimmers und eines neuen Gegengewichts im Vorstand erklärt sich Museumskustos Robin Leipold bereit, die Nachfolge seines früheren Chefs Christian Wacker als fachlicher Leiter des Museums anzutreten, unterstützt durch einen Finanzfachmann oder eine Finanzfachfrau für das Kaufmännische. An der Museumsvision soll festgehalten werden, alle Kräfte beschließen daher Burgfrieden und gemeinsame Verhandlungen mit Geldgebern in nah und fern.
Wahrscheinlichkeit: hoch
5. Modell „Die Katastrophe – oder: Das Ende mit Schrecken“
Die Stiftung erhält laufende Fördermittel aus öffentlicher Hand (sowohl kommunal als auch vom Kulturraum), die – unabhängig von der geplanten Museumsvision – den Unterhalt des Museums ermöglichen. Die verschiedenen Geldgeber haben die Vorgänge in Radebeul kritisch beobachtet und stellen vor dem Hintergrund der zahlreich geäußerten und bislang nicht entkräfteten Vorwürfe die Vergabe von finanziellen Mitteln auf den Prüfstand. Dann droht die Katastrophe, denn wenn die Stiftung nicht mit Kompetenz überzeugen kann, wären bereits bewilligte Fördermittel und auch die laufende öffentliche Förderung in Gefahr. Und ohne zusätzliche Finanzierung reichen die Einnahmen durch Eintrittsgelder und Spenden nicht aus. Es bleibt dann nur die Insolvenz des Museums – und die älteste noch existierende May-Institution, die 1913 gegründete Karl-May-Stiftung, verliert ihren letzten Daseinszweck und steht ebenfalls vor dem Aus.
Doch ist das Schreckensszenario – also: Pleite, Museumsschließung, verbranntes Feld – realistisch, wenn man bedenkt, welche kulturelle Bedeutung Karl May für Radebeul, Sachsen und ganz Deutschland hat?
Wahrscheinlichkeit: äußerst gering