Die Krise von Karl-May-Stiftung und Karl-May-Museum sorgt in der Karl-May-Szene und über diese hinaus seit vorvergangener Woche für Empörung, nachdem der bisherige Museumsdirektor Dr. Christian Wacker dem Stiftungsvorstand in einem offenen Brief, mit dem er seine Kündigung begründete, schwere Vorwürfe gemacht hatte. Innerhalb der Szene ist die Empörung über die Vorgänge in Radebeul groß, und der Ruf nach weitreichenden Veränderungen in der Karl-May-Stiftung wird laut. Im KARL MAY & Co.-Interview schließt sich nun Dr. Johannes Zeilinger, Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft von 2007 bis 2019, dieser Forderung an und spart nicht an deutlichen Worten. So solle sich die Stiftung auf Aufgaben, „für die sie einst May vorgesehen hat“, konzentrieren und „sonst so wenig Schaden wie möglich anrichten“, so Zeilinger, der als Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft bis 2019 auch viele Jahre Mitglied des Kuratoriums der Karl-May-Stiftung war.

Herr Zeilinger, Sie haben das Amt des Kurators im Herbst des vergangenen Jahres an Ihren Nachfolger als Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft abgegeben. Bis vor kurzem waren Sie also Teil des Kuratoriums der Karl-May-Stiftung. Können Sie die von Christian Wacker geäußerten Vorwürfe und Missstände nachvollziehen? 

So bedauerlich auch der Abschied von Herrn Wacker ist, ist er nur Teil des Radebeuler Desasters.

Ich glaube, Christian Wacker hat sich noch sehr vorsichtig und höflich geäußert. Ralf Harder etwa hat ihn als „schlechtesten Geschäftsführer“, den das Museum je hatte, bezeichnet. Das ist schon mehr als Mobbing, das ist glatter Rufmord und charakterisiert auch das ganze unfassbare Radebeuler Elend. Herr Wacker war ein Glücksfall für das Museum, und seinerzeit hatte ich dem Stiftungsvorstand zu dieser Wahl gratuliert. Nun stehen Museum und Stiftung vor einem Scherbenhaufen, und die bitteren Konsequenzen will man gar nicht erahnen. So bedauerlich auch der Abschied von Herrn Wacker ist, ist er nur Teil des Radebeuler Desasters. Denn auch der Stiftungsvorstand hat sich zerlegt; Werner Schul, einst Vorsitzender des Stiftungsvorstandes, hat entnervt sein Amt niedergelegt, auch sein Nachfolger, Thomas Grübner, will nicht mehr. Beide hatten mit viel Elan und gutem Willen für eine Erneuerung des Museums gearbeitet, verlassen nun aber mit Wacker die Radebeuler Bühne. Sieger in diesem game of thrones sind daher erst einmal Bert Wendsche, Klaus Voigt und Ralf Harder. Wendsche als Oberbürgermeister von Radebeul ist ein machtbewusster Lokalpolitiker und Voigt sein Adlatus; letzterer gibt auch gerne – wie die Museumsbelegschaft öfters erfahren hat – den juristischen Kettenhund. Beide sind im Übrigen recht unbedarft, was Karl May betrifft, ganz im Gegenteil zu Harder, dem Dritten im Bunde. Hansotto Hatzig, Gründungsmitglied der Karl-May-Gesellschaft, hatte ihn einst als großen Intriganten bezeichnet; nachdem er vergeblich in Hohenstein-Ernstthal am Stuhl von André Neubert gesägt hatte, gelang es ihm, in der Stiftung den Posten des Chefideologen zu usurpieren. Dort hatte er lange Jahre den Internetauftritt von Museum und Stiftung gestaltet und auch eine „Arbeits- und Forschungsgemeinschaft der Karl-May-Stiftung“ gegründet, die bis heute unter seiner Leitung steht und 50 internationale Experten umfasst, de facto aber eine leere Hülle ohne Inhalt, also einen Popanz darstellt. Gesalbt mit der doppelten Ehre als Stiftungsvorständler sowie als Forschungsgruppenleiter maßte er sich nun die Potenz an, alle letzten Wahrheiten um Karl May zu kennen, und schaffte es, seine persönlichen Ansichten über May zur offiziösen Lehre der Stiftung zu verwandeln. Und wenn er Abweichungen bemerkte, korrigierte er per „Weisungsbefugnis“ solche Fehltritte und hielt sich für fähig, auch einem promovierten Kulturwissenschaftler mal in die Schreibhand zu diktieren.  

„Um eine solche Institution zukunftsfähig machen zu können, muss sie inhaltlich und technisch aber vor allem ideologisch entstaubt werden“, hieß es in Christian Wackers Begründung seiner Kündigung. Sehen Sie das genauso? Worin genau ist die Stiftung nicht zukunftsfähig?

Ich glaube weniger, dass es jetzt noch wichtig ist, die Karl-May-Stiftung zukunftsfähig zu machen oder zu entstauben; sie sollte sich auf Aufgaben, für die sie einst May vorgesehen hat, konzentrieren und sonst so wenig Schaden wie möglich anrichten. Weit wichtiger ist es, das Überleben des Museums zu sichern, das seit Jahren in einem ständigen Balanceakt an der Insolvenz vorbeischrammt. 

Ich glaube weniger, dass es jetzt noch wichtig ist, die Karl-May-Stiftung zukunftsfähig zu machen oder zu entstauben; sie sollte sich auf Aufgaben, für die sie einst May vorgesehen hat, konzentrieren und sonst so wenig Schaden wie möglich anrichten.

Stimmt es, dass Sie am Dienstag vergangener Woche zufällig Ohrenzeuge wurden, wie Christian Wacker zuhause die fristlose Kündigung überreicht wurde und sogar versucht wurde, von ihm an der Haustür eine Unterschrift auf einer Unterlassungserklärung zu bekommen?

Das war eine wunderbare, fast slapstickartige Szene, die Karl May, hätte er sie miterlebt, sofort in einen Kolportageroman eingebaut hätte. Es klingelt, der Oberbürgermeister kommt die Treppe hoch und verkündet atemlos die fristlose Kündigung, überreicht auch gleich die schriftliche Form der Entlassung, will aber auch die Unterschrift Wackers unter ein Dokument einholen, das wohl von seinem Begleiter und Zeugen Herrn Rechtsanwalt Voigt formuliert wurde und in dem sich der gerade entlassene Museumsdirektor selbst zum Schweigen verdonnern soll. Der Rausschmiss von Claudia Kaulfuß war seinerzeit etwas rabiater und überraschender; kurz vor Feierabend erschienen plötzlich die Herren der Stiftung, forderten Handy und Schlüssel und verkündeten der erschrockenen Geschäftsführerin ihren sofortigen fristlosen Abschied. Auch diesmal wird sich der Kündigung ein Rechtsstreit anschließen, der wieder zu Lasten der Stiftung endet und unnötige Kosten fordert. Mir ist schleierhaft, wie sich die Stiftung solch einen Rechtsberater zulegen konnte, dessen „Ineffizienz nur noch durch seine Arroganz“ übertroffen wird, wie es ein Museumsmitarbeiter formulierte. Er kostet nur sinnlos Geld, das dann anderen Ortes fehlt. 

Das war eine wunderbare, fast slapstickartige Szene, die Karl May, hätte er sie miterlebt, sofort in einen Kolportageroman eingebaut hätte.

Nachdem es bereits 2013 und 2018 ähnlich problematische Abgänge von Museumsdirektoren gegeben hat, wie, meinen Sie, könnte man verhindern, dass sich solch ein Desaster nochmals wiederholte? Welche Maßnahmen zur Reform der Strukturen der Karl-May-Stiftung und des Karl-May-Museums halten Sie für notwendig?

Die Karl-May-Stiftung, wie sie sich momentan darstellt, hat ja inhaltlich überhaupt keine Verbindung mehr zu Karl Mays letztem Willen. Der Schriftsteller, da ohne erbberechtigte Kinder, setzte eine „mildthätige“ Stiftung als Nacherbin seiner Gattin Klara ein, die aber schon bald eigene Pläne verfolgte. Heute fühlt sich die Stiftung als eigentliche Erbin Karl Mays, ohne aber den eigenen Werdegang durch die wechselhafte deutsche Geschichte je auch nur ansatzweise reflektiert zu haben. Auch hatte das Karl-May-Museum nur vom Namen her eine Verbindung zu May, denn de facto war es bis heute ein Indianermuseum; eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Karl May ist museal nie erfolgt, und mag auch die Rekonstruktion von Mays Wohnräumen großen Schauwert haben, einer substanziellen Auseinandersetzung mit dem wechselvollen Leben und Streben Mays hilft sie nicht. Unter Christian Wacker war das Museum auf dem besten Weg, zukunftsfähige und innovative Konzepte zu entwickeln, das Modell allerdings ist gescheitert. Da hilft meiner Meinung nach nur noch eine recht radikale Lösung: Das Museum, also die gGmbH, muss aus der unseligen Verbindung zu der überforderten Stiftung herausgelöst und in die staatlich-sächsische Museumslandschaft eingegliedert werden. Hier ist dann eine freie Forschung möglich, und auch die Gehälter der Mitarbeiter wären gesichert. Die Karl-May-Stiftung andererseits kann sich dann ihrer originären Aufgabe widmen, nämlich verarmte Schriftsteller unterstützen und die Gräber der Ehepaare May und Tobis pflegen. Da reicht es, wenn sich der Vorstand zwei Mal im Jahr zu einem Glas Wein trifft.  

Heute fühlt sich die Stiftung als eigentliche Erbin Karl Mays, ohne aber den eigenen Werdegang durch die wechselhafte deutsche Geschichte je auch nur ansatzweise reflektiert zu haben.

Sie saßen selbst jahrelang im Kuratorium. Wie sieht die Arbeit des Kuratoriums genau aus?

Das Kuratorium ist definitionsgemäß kein Aufsichtsrat und versteht sich deshalb mehr als Kooperationspartner der Stiftung und weniger als sein Kontrollorgan. Natürlich wählt es auch den Vorstand der Stiftung, entlastet ihn und stimmt seinen Plänen zu, generell wird hier aber immer der Konsens angestrebt und nicht die Konfrontation. Das ist auch gut so, setzt aber voraus, dass ein vernünftiger Informationsfluss zwischen Vorstand und Kuratorium besteht; hier hat es in der Vergangenheit immer wieder gehapert. Bei dem stillosen Rausschmiss von Claudia Kaulfuß hat dann unglücklicherweise das Kuratorium mehrheitlich und kritiklos die Darstellung des Stiftungsjuristen übernommen; eine Anhörung von Frau Kaulfuß vor dem Kuratorium – audiatur et altera pars! – wurde damals unter Androhung von Rechtsmitteln verhindert. Hier hatte der Schulterschluss zwischen Stiftungsvorstand und Kuratoriumspräsidium verhängnisvolle Folgen, und es ist zu vermuten, dass auch bei der kommenden Sitzung Ende Juni ein ähnliches Ergebnis herauskommt. Die Zusammensetzung des Kuratoriums ist sehr heterogen, und da für eine Abwahl des Vorstandes eine Zweidrittelmehrheit der Kuratoren erforderlich ist, wird hier keine Änderung stattfinden. Es bleibt einzig die Möglichkeit, dass das Trio Harder-Voigt-Wendsche freiwillig zurücktritt und so den Weg für eine Neuausrichtung frei macht. Der Scherbenhaufen aber bleibt, und so ist mit Wackers Fortgang auch die Vision zu einer Fata-Morgana geworden.

Es bleibt einzig die Möglichkeit, dass das Trio Harder-Voigt-Wendsche freiwillig zurücktritt und so den Weg für eine Neuausrichtung frei macht. Der Scherbenhaufen aber bleibt, und so ist mit Wackers Fortgang auch die Vision zu einer Fata-Morgana geworden.

Warum erfolgt aus dem Kuratorium kein hinreichender Druck auf den Stiftungsvorstand? Anders gefragt: Warum geht das Kuratorium angesichts eines solchen Desasters nicht auf die Barrikaden?

Ein kleiner Teil macht das schon, aber das sind vereinzelte Stimmen. Überdies muss man wissen, dass das Kuratorium auf Grund satzungsgemäßer Ladungsfristen gar nicht in der Lage ist, als Gremium kurzfristig auf aktuelle Ereignisse zu reagieren. Vor dem 27.6. können zwar einzelne hinter den Kulissen tätig werden, das Kuratorium kann als ganzes aber nicht rechtskräftig agieren. Dazu haben seine Mitglieder nur wenig Detailinformationen von den eigentlichen Vorgängen im Museum und im Stiftungsvorstand erhalten. Von den Gründen Herrn Schuls etwa, den Vorstand zu verlassen, hat es noch nichts erfahren, geschweige denn, dass über diese Gründe diskutiert wurde. Und das ist ein altes Manko: Das Kuratorium erhält nicht immer alle Informationen, die eine Lagebeurteilung möglich machen. Herr Dr. Straßer ist unglücklicherweise zu lange passiv geblieben und hat so die Chance versäumt, schon im Vorfeld den Konflikt zwischen Harder und dem scheidenden Geschäftsführer zu entschärfen. Herr Dr. Wacker hatte ihn in München aufgesucht, ihm dort seinen Entschluss mitgeteilt und überdies die ungute Lage im Museum ausführlich geschildert. Ansonsten gilt aber für die Zusammensetzung des Kuratoriums die Diagnose Wackers von der Verfilzung der Institutionen; Stiftung und Kuratorium sind halt ein „old-boy network“.

Stiftung und Kuratorium sind halt ein „old-boy network“.

Nochmals zum Kuratorium: Ihm steht als Präsident Dr. Robert Straßer vor. Ist es richtig, dass er in der Vergangenheit bereits vom Vorstand der Stiftung als Anwalt beauftragt worden ist? Wie wäre da eine Kontrollfunktion möglich? Wurde dieses Problem, das ja auch weitere Kuratoriumsmitglieder betrifft, die den Stiftungsvorständen nahe stehen, innerhalb der Stiftungsgremien bereits thematisiert? 

Nein. Herr Dr. Straßer ist ein angesehener und kluger Jurist, der ganz sicher im Rahmen des Zulässigen agiert und nicht außerhalb. Das Problem liegt, wie angeführt, mehr im Selbstverständnis des Kuratoriums, das vor allem an einer erfolgreichen Kooperation mit dem Stiftungsvorstand interessiert ist, sich zweimal im Jahr zum Kaffee trifft und dann eine möglichst heile und erfolgreiche Karl-May-Welt erleben will.

Wie beurteilen Sie die Personalie René Wagner, der Museumsdirektor von 1986 bis 2013, der nun als Interimsgeschäftsführer eingesetzt wurde?

Nichts illustriert besser das Versagen des Stiftungsrestvorstandes als die Ernennung René Wagners zum Interimsgeschäftsführer.

Nichts illustriert besser das Versagen des Stiftungsrestvorstandes als die Ernennung René Wagners zum Interimsgeschäftsführer. Wagner steht für bleierne Jahre der Stagnation und zunehmenden Schlendrians im Museum, er ist ein Mann der Vergangenheit, oder, wie es im Unternehmerjargon heißt, eine verbrannte Figur. Als seinerseits der Stiftungsvorstand, bestehend aus Dr. Franke und Dr. Kunze, den Mann mit dem Hut aufs Rententeil schickten, hatten sie gute und handfeste Gründe, die allmählich dem gnädigen Vergessen anheim fielen, unglücklicherweise aber jetzt wieder aktuell werden. Mit seiner Bereitschaft, die Museumsleitung zu übernehmen, hat René Wagner sich und dem Museum einen Bärendienst erwiesen, der die Situation nur noch verschlimmert und jeden Rest an Respekt, den man ihm entgegenbrachte, zerstört. Dabei ist seine Stasivergangenheit im Vergleich zu seinem Versagen als Museumschef eine Petitesse; ihm und dem Museum wäre zu wünschen gewesen, hätte man ihm nach der Wende eine neue Beschäftigung außerhalb des Museums verschafft. Bei aller Kritik war Wagner aber ein ausgezeichneter Netzwerker, der sich einen großen Kreis von Amigos geschaffen hatte, die heute – auch im Kuratorium – noch sein Loblied singen und dafür sorgen, dass nichts besser wird.