Der Abschied Christian Wackers vom Direktorenposten des Karl-May-Museums und die scharfe Kritik am Vorstand der Karl-May-Stiftung, dem Wacker problematischste Bedingungen bis hin zu Mobbing vorwirft, bewegt die Karl-May-Szene. Hört man sich dort um, spürt man das Entsetzen, das die Nachricht ausgelöst hat – bin hin zu größter Sorge um die Zukunft des Museums. Der Ruf nach weitreichenden Veränderungen personeller wie struktureller Natur in der Karl-May-Stiftung wird laut und: nach mehr Kommunikation.
„Der Rücktritt Dr. Christian Wackers vom Direktionsposten ist ein Verlust für das Karl-May-Museum“, sagt beispielsweise Hartmut Schmidt, stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Karl-May-Haus Hohenstein-Ernstthal und Geschäftsführer des Freundeskreises Karl May Berlin/Brandenburg. „Seine Gründe hat Dr. Wacker in einem offenen Brief dargelegt. Dabei geht es auch um die Verwendung von Spendengeldern. Die Öffentlichkeit, und besonders die Spender, haben ein Recht darauf zu erfahren, in welche Kanäle die Gelder fließen“, so Schmidt, der auch den Stiftungsvorstand kritisiert: Diesem missfalle diese Offenlegung, er dementiere „aber auch die genannten Fakten nicht“. Eine der wenigen kurzen Stellungnahmen wie „Reisende soll man nicht aufhalten“ seien laut Schmidt der Diskussion nicht förderlich und sprächen für sich.
Bei Bernhard Schmid, Geschäftsführer des Bamberger Karl-May-Verlags, löste die Nachricht von Christian Wackers Kündigung „große Bestürzung und ungläubiges Erstaunen“ aus. Schmid, der eine besondere Beziehung zum Museum hat, da sein Großvater an der Gründung der Institution 1928 beteiligt war, habe mit Wacker „ein sehr gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut, was für eine erfolgreiche Zukunft von Museum und Verlag zusammen mit weiteren Karl-May-Institutionen hätte förderlich sein können. Haben wir das doch lange Zeit vermissen müssen“, so Schmid, der „nur hoffen“ könne, „dass diese aktuelle Krisensituation keinen allzu großen Schaden für das von uns geschätzte Museum hinterlässt und schnellstens wieder eine professionelle Direktion etabliert wird“. Und: „Einschneidende Strukturänderungen, wie von Herrn Dr. Wacker angeregt, sollten unbedingt vorangetrieben werden.“
Auch Prof. Dr. Albrecht Götz von Olenhusen, ein renommierter Medien- und Arbeitsrechtler, der sich unter anderem in der Karl-May-Gesellschaft (KMG) engagiert, hätten die Radebeuler Nachrichten „bestürzt und erschreckt“, wie „viele aus der Karl-May-Szene“. Olenhusen: „Dabei ist nicht der Umstand, dass ein hochqualifizierter und erfolgreicher Direktor (…) aus den von ihm dargelegten Gründen ein anderes Angebot angenommen hat, so gravierend; sondern die besonderen Momente (und die) von ihm dargestellten Gründe machen den Fall zu einem Vorgang, der den an Karl May, seinen Institutionen und seinem Wirken und Nachwirken Interessierten nicht gleichgültig sein kann und darf. Der Schaden, der hier erneut der Sache selbst, dem Museum und dem Andenken Mays zugefügt worden ist, wiegt schwer, er wird schwer wieder gut zu machen sein.“
Olenhusen ist erstaunt, dass sich die Stiftung selbst „bisher in der Sache so gut wie gar nicht geäußert“ habe, und regt eine Untersuchung der von Wacker öffentlichkeitswirksam geäußerten Vorwürfe an: „Wenn sich dies bewahrheitet, und die bisherigen Informationen deuten in diese Richtung, wäre es doch wohl notwendig“, so Olenhusen, die Umstände „einmal gründlich und von unabhängiger Seite aus zu prüfen und der interessierten Öffentlichkeit zu berichten. Es müsste dabei auch gefragt werden, ob von Seiten des Vorstands der Stiftung die erforderlichen Schritte, die für die Planungen notwendig waren, getan oder verzögert oder behindert worden sind. Sollte sich das, was hier als ‚förderschädlich‘ benannt worden ist, herausstellen, wird es notwendig sein, dies aufzuklären und auch in Bezug auf die Stiftung auf Abhilfe zu dringen und auch die von Herrn Wacker geschilderten persönlichen Misshelligkeiten aufzuklären, die Versäumnisse zu beheben und für die Zukunft eine Situation herzustellen, die derartige Schäden und Nachteile fürs Museum, damit auch für die Stiftung, vermeidet“, so Olenhusen.
Olenhusen weiter: „Wenn eine unabhängige Prüfung ergeben sollte, dass die allseits sehr gelobte und geschätzte Arbeit von Herrn Wacker unter anderem dadurch behindert und jetzt zum Erliegen gebracht worden ist, dass aus dem Vorstand die Vorstellungen von Herrn Wacker, hier eine Stätte des Diskurses zu schaffen in einem modernen Museum und mit einer offenen, auch für kritische Meinungen geöffneten Bühne, nachhaltig behindert wurden mit der Tendenz, eine bestimmte Einschätzung als ‚Stiftungswahrheit‘ durchzudrücken, dann wäre das ein weiterer Umstand, der alle an Karl May interessierten Gremien, Institutionen und die KMG aufrufen müsste, um derartigen Vorgängen für die Zukunft den Boden zu entziehen.“
Ähnlich sieht es der Literaturwissenschaftler Dr. Ulrich Scheinhammer-Schmid, der sich in der Karl-May-Gesellschaft durch eigene Studien sowie als Herausgeber von Bänden der Historisch-kritischen Ausgabe von Mays Werken einen Namen gemacht hat, in einem Brief an die Mitglieder des Kuratoriums. Von Wackers Kündigung habe er „mit Entsetzen“ aus der Presse erfahren. „Erfreulicherweise“ habe Wacker aber seine Kündigung begründet und „mit der präzisen Darstellung der Sachverhalte“ auch irritierende Vorgänge der Vergangenheit erklärt: „Die unvermittelte und kaum nachvollziehbare Entlassung von Direktor René Wagner, kurz vor seiner Pensionierung, gehört dazu ebenso wie die noch weit dubiosere Entlassung von Frau Kaulfuß, die ich immer als sehr kompetent und tatkräftig erlebt habe“. Laut Scheinhammer-Schmid offenbart Wackers Schreiben „sehr präzise finanzielle Defizite in den Geschäftsführung der Karl-May-Stiftung, wirft andererseits aber auch ein Schlaglicht auf massive menschliche Schwächen in dieser Institution“. Als Konsequenz fordert Scheinhammer-Schmid eine Überprüfung dieser Sachverhalte „durch eine neutrale, außenstehende Instanz“; es sei aber auch „Aufgabe der Karl-May-Stiftung, von sich aus Aufklärung zu bieten“. Als Voraussetzung für einen Neuanfang fordert der Wissenschaftler einen kompletten Austausch des Stiftungsvorstands: „Unerlässlich scheint mir überdies, den bisherigen, von seinen Aufgaben überforderten Vorstand in Gänze abzuberufen und durch eine neue, kompetente Führungsmann-(und frau!)schaft zu ersetzen. Das ist die dringende Aufgabe der Kuratoriumskonferenz am kommenden Mittwoch, um schweren Schaden vom Museum und von der ganzen Karl-May-Szene abzuwenden.“
„Was ist mit der Karl-May-Stiftung los?“, fragt Lorenz Hunziker vom Schweizer Karl-May-Freundeskreis und verbindet seine Frage mit Kritik am Kuratorium der Stiftung: „Das Kuratorium macht nichts“. Wie in Verwaltungsräten seien die handelnden Personen anderweitig beschäftigt und „winken einfach alles durch“. „Nach Wagner und Kaulfuß wurde der Vorstand wohl durchgeschüttelt, die Amtsverteilung änderte sich, die Personen blieben aber dieselben“, so Hunziker, der beim Vorstand der Karl-May-Stiftung „keine Strategie“ sieht; vielmehr habe dieser die Geschäftsführung gezwungen, „die vom Vorstand vorgegebenen Massnahmen (…) auszuführen“, etwa den „viel zitierten Brunnenengel“, der laut Hunziker nichts mit Karl May zu tun habe, „sondern bei Klara lange nach dem Tod Karl Mays seinen Ursprung hat“. Zur Erklärung: Christian Wackers Vorgängern als Museumsdirektoren, René Wagner und Claudia Kaulfuß, wurde 2013 bzw. 2018 gekündigt. Die Nachbildung einer Brunnenengel-Skulptur wurde am 1. Dezember 2018 im Museumsgarten platziert; das Original hatte Klara May, die Witwe des Schriftstellers, viele Jahre nach dessen Tod aufstellen lassen.
Auch Hunziker sieht die Notwendigkeit von weitreichenden Veränderungen in der Struktur der Stiftung: „Über sechs Jahre ging so das Image der Stiftung und des zu ihm gehörenden Karl-May-Museums (den) Bach ab und das Kuratorium hat sich dazu nicht geäussert und den Vorstand mindestens zweimal wiedergewählt (…) und diesen bis heute gewähren lassen. Vielleicht ist nun die Zeit reif, die Stiftungsstatuten anzupassen und die Aufgaben klar zu definieren. Zudem darf die Frage gestellt werden, ob nicht auch die Personen, die diese Aufgaben ausführen sollen, getauscht werden müssen, um Karl May von diesem Possen-Theater-Image zu befreien.“
Prof. Dr. Holger Kuße (TU Dresden), Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Karl-May-Museums, erklärte auf Anfrage von KARL MAY & Co., er und seine Beiratskollegen seien „von dem Vorgang vollkommen überrascht“ worden. Kuße sieht eine „mehr als unerfreuliche Situation“, zumal der Weggang von Christian Wacker „für das Museum ein immenser Schaden“ sei. Der Weg, den Wacker eingeschlagen habe, „ließ alle Potentiale, die das Museum hat, zur Geltung kommen“, so Kuße, der bedauert, das Museum habe „mit dem Ruf einer gewissen Verstaubtheit, eines May-Tempels und Indianertümelei“ zu kämpfen, und die enormen Potentiale würden „leider oft unterschätzt“. Kuße: „Ich war sicher, dass sich das nun sehr schnell ändern würde“.
Kuße sei regelmäßig mit internationalen Gästen im Museum und habe „gerade in der letzten Zeit nur verblüffte Begeisterung erlebt“. Das Karl-May-Museum habe sich auf dem Weg zu einer „internationalen Größe in den literarischen, kulturgeschichtlichen und gesellschaftlichen Diskursen der Zeit“ befunden, „die alle zum namensgebenden Autor zurücklaufen und seine Bedeutung erst durch diesen umfassenden diskursiven Raum deutlich werden lassen“, so Kuße, der festellen musste: „Vollkommen unerwartet erleben wir nun einen echten Tiefschlag.“
Laut Kuße könne sich jedoch ein wissenschaftlicher Beirat „in die Belange und Entscheidungen von Stiftungsvorständen und Kuratorien nicht einmischen. Ob sich die Verantwortlichen für das Museum weiter auf den Weg zu einem modernen Museum machen, können wir nicht beeinflussen“. Der Beirat sei aber weiter bereit, „die Museumsmodernisierung zu begleiten und unterstützen. Wir hoffen, dass dies weiter möglich sein wird“, so Kuße.
Prof. Dr. Andreas Brenne (Universität Osnabrück), der die Karl-May-Szene seit Jahren beobachtet und sich umfassend mit dem Phänomen May befasst, bedauert Christian Wackers Abschied aus Radebeul sehr, habe der Direktor doch „ein innovatives kuratorisches Konzept und große Pläne der Umgestaltung der Sammlung inkl. Neubau“ entwickelt.
Brenne wirft darüber hinaus Fragen zur Weiterentwicklung des Museums und zu der Beschäftigung mit Karl May auf: „Unabhängig davon, wie man die Konstellation der Radebeuler Trias von Museum, Stiftung und Förderverein bewertet, gilt es doch grundsätzlich zu fragen, wohin sich der Kulminationspunkt der May-Szene entwickeln soll. Geht es um eine inhaltliche und programmatische Weiterentwicklung einer Bildungseinrichtung, die aktuelle Ergebnisse der Karl-May-Forschung didaktisch derart aufarbeitet, dass eine breite und interdisziplinäre Diskussion möglich wird? Geht es um eine rezipientenorientierte Vermittlung von Leben und Werk Karl Mays, die nicht allein eine elegische Nabelschau betreibt, sondern neue Kreise erschließt und an heutige gesellschaftlich relevante Diskurse anschließt? Oder spielt das alles keine Rolle, sondern setzt auf spektakuläre Events, die eine bestimmte Lesart des Mayschen Kosmos populär und vor allem spektakulär in Szene setzt – eine Art Disney-Land der dark and bloody Grounds sächsischer Prägung – etwa im Sinne der pointierten Reanimation des Italowesterns in den ehemaligen Filmkulissen von Almeria (Sergio Leone World)? Ich denke, es braucht beides, wobei ich den Aspekt der kulturellen Bildung für zentral erachte. Museen haben einen diesbezüglichen Auftrag und in dieser Hinsicht hat das Team von Christian Wacker Großartiges geleistet und einen guten Weg beschritten“, so Brenne.
Dazu gehöre laut Brenne nicht nur ein „Update der musealen Inszenierung, sondern auch eine forschungsorientierte Reflexion von Museumsgeschichte und Sammlung. Denn die Villa ‚Shatterhand.‘ stellt nicht nur die Wirkungsstätte eines großen Literaten aus, sondern beherbergt auch in der später erstellten Villa Bärenfett eine ‚völkerkundliche‘ indianistische Sammlung. Insofern ist Provenienzforschung unverzichtbar, aber auch eine Auseinandersetzung mit den Verstrickungen des Museums in totalitäre Systeme der jüngsten Vergangenheit. Ich denke an die unkommentiert gezeigten Arbeiten des aktiven Nationalsozialisten Elk Eber oder das Museum als Ort der Staatssicherheitsbehörde der DDR“, so Brenne.
Derweil berichtet die Sächsische Zeitung am heutigen Montag, der Oberbürgermeister von Radebeul, Bert Wendsche, zugleich Vorstandsmitglied der Karl-May-Stiftung, habe zum Krisengespräch am morgigen Dienstag geladen, bevor sich Vorstand und Kuratorium am Mittwoch in einer Videokonferenz beraten wollen. Auch die Bild-Zeitung Dresden griff das Thema in ihrer heutigen Ausgabe auf und fasste zusammen: „Geld weg, Chef weg, Besucher weg!“.