Winnetou im Kino, das gab es abgesehen von der Premiere der dreiteiligen RTL-Neuverfilmung „Winnetou – der Mythos lebt“ (2016), die aber für das Fernsehen produziert wurde, schon lange nicht mehr, genaugenommen seit rund 54 Jahren nicht mehr, als mit „Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten“ Brauners Schwanengesang der Winnetou-Welle anlief. Die etlichen Wiederaufführungen seien hier einmal ausgeklammert. Mit der „Der junge Häuptling Winnetou“, der eigentlich schon zum 24. Februar ins Kino kommen sollte, wegen Corona jedoch erneut verschoben wurde, feierte nun der jüngste filmische Beitrag zum May-Kosmos seine Uraufführung. Ort des Geschehens war der ziemlich zentral in München gelegene Mathäser Filmpalast, dessen Kinos sich auf mehrere Ebenen verteilen. Ende 1963 wurde hier schon „Winnetou 1. Teil“ erstaufgeführt!

Weil das Zielpublikum im jüngeren Schulalter ist – der Film hat sogar eine FSK-0-Einstufung erhalten, war der Filmbeginn bzw. dessen Anmoderation an diesem Sonntag auf 15 Uhr angesetzt, die feierliche Einstimmung im Foyer des Kinos begann eine halbe Stunde davor. Für KARL MAY & Co. nahmen sich die drei Hauptdarsteller im Kindesalter – Mika Ullritz (Winnetou), Milo Haaf (Tom Silver) und Lola Linnéa Padotzke (Nscho-tschi) schon mittags ein paar Minuten Zeit, um im historischen Palais Montgelas des renommierten Hotels Bayerischer Hof über ihre Erfahrungen zu plaudern – nach eigenem Bekunden ihr erstes Interview überhaupt, was zur sowieso schon vorhandenen Aufregung beitrug. Das Trio ist ein guter Gradmesser dafür, wie der Kinofilm bei potenziellen Kinogängern angenommen werden könnte. Lola Padotzke hat am Vortag der Premiere ihren ersten „Winnetou“-Film gesehen. „Der ist viel brutaler als unserer“. Sie hat früher schon in Krimis mitgespielt, aber „die durfte ich dann gar nicht sehen, weil ich noch zu klein war“, lacht das kesse Mädchen. Arg viel mehr May-Erfahrung hat ihr Film-Bruder Mika Ullritz auch nicht, der stolz einen der hübschen Anhänger trägt, den der Film-„Winnetou“ von seiner verstorbenen Mutter erhalten hat. „Das ist eine der drei Anfertigungen, ich habe sie geschenkt bekommen.“ Anders sieht es bei „Western-Fan“ Milo Haaf aus, der über seinen Opa zum Genre gekommen ist und den „Silbersee“ als seinen Lieblings-„Winnetou“ nennt. „Mein Klick-Moment, dass ich tatsächlich in einem Western spielen darf, war, als ich während des Drehs in meinem Kostüm und Hut vor Todd‘s Ranch neben den Pferden stand.“ begeistert sich der heute 14-jährige Kinodebütant, der Tom Hanks zu seinen Favoriten zählt, über die Dreharbeiten im sengend heißen Almeria in Südspanien. Alle drei sind über ein Casting zu ihren Rollen gekommen, wobei Mika Ullritz (14) schnell als Winnetou feststand, Lola Padotzke (12) hingegen ein paar Anläufe benötigte. Die Unterstützung ihrer Familien war ihnen sicher, auch die Schulleitungen zeigten sich tolerant und ermutigend, immerhin mussten die schulpflichtigen Kinder vor zwei Jahren teilweise vom Unterricht befreit werden, wenn auch ein Großteil des Drehs während der Sommerferien erfolgte. Die waren ganz schön anstrengend, weil die damals besonders akute Corona-Pandemie ein ständiges Maske tragen erforderte, sobald die Kamera aus war.

Besonders Mika Ullritz und Lola Padotzke litten unter ihren Perücken. Nicht ungefährlich war der Umgang mit den Pferden. Reiten gelernt haben die beiden Jungs extra für den Film, Lola Padotzke brachte schon etwas Erfahrung mit. Dennoch seien die spanischen Pferde wilder gewesen, als ihre Verwandten in der deutschen Heimat. Den einen oder anderen kritischen Moment habe es da schon gegeben, gibt Mika Ullritz zu. Aber längst nicht so schlimm wie in den alten „Winnetou“-Filmen. Dass in denen viel riskanter geritten wurde, darin sind sich alle drei einig. „Wir durften ohnehin aus Sicherheitsgründen nur in den langsamen Gangarten reiten, alles andere wie Galoppieren haben Stuntleute übernommen“. „Dafür habe ich mich mit Sonnenschirm auf dem Pferd wie Mary Poppins gefühlt“, denkt Lola Padotzke an den Dreh zurück. Milo Haaf erinnert sich gern an die Aufnahmen, für die er mit einem Cola-Fanta-Gemisch urinieren oder seinen Allerwertesten mit dem Saft der Aloe Vera behandeln musste. Besonders spaßig sei es mit Filmbösewicht Anatole Taubman („James Bond 007 – Ein Quantum Trost“, „Men In Black: International“) gewesen, der in echt natürlich gar nicht so böse ist.

Für eine Fortsetzung wären die drei Nachwuchstalente zu haben, ein Skript gebe es schon, aber erstmal muss sich ja zeigen, wie erfolgreich der Film in den Kinos laufen wird. „Außerdem sind wir jetzt schon alt“, stellt Milo Haaf halb ernst, halb ironisch fest. Seit dem Dreh sind ja gute zwei Jahre vergangen, die Pubertät klopft an die Tür. Auf dem roten Teppich posierten die „Winnetou-Kids“ anschließend wie alte Hasen für die vielen Fotografen und Journalisten, die sich dort im Pressebereich tummelten. Einer dieser alten Hasen im Showgeschäft, der als Hamburger „Tatort“-Kommissar Cenk Batu bekannt gewordene Mehmet Kurtuluş wollte schon als Kind den „Winnetou“ spielen, jetzt ist es „Intschu-tschuna“ geworden. Ob er es sich vorstellen könne, in Bad Segeberg zu spielen? „Da gibt es ja nicht nur Segeberg“, weiß Kurtuluş, der am liebsten sofort wieder in sein Kostüm schlüpfen würde, „aber erstmal den 11. August abwarten“. An diesem Termin läuft „Der junge Häuptling Winnetou“ regulär in den deutschen Lichtspielhäusern an. Daniel Christensen alias Bandit „Butch“, der regelmäßig in einer wiederkehrenden Rolle in den Kino-Krimiverfilmungen nach Rita Falk zu sehen ist (aktuell mit „Guglhupfgeschwader“), schwärmt vom Drehort Almeria in Spanien, „wo viele große Western gedreht wurden“.

Auch die ungefähr gleichaltrigen Reporter eines Kindermagazins bemühten sich fleißig um Statements der Stars und Sternchen. Die Premierenvorführung war mit Angehörigen und sonstigen Personen aus dem Umfeld der Produktion freilich eher intern besetzt. Auch das eine oder andere bekannte Gesicht konnte man im Kino ausfindig machen, wie etwa die Bamberger Autorin Tanja Kinkel, die etwa zur Reihe „Karl Mays Magischer Orient“ beigetragen hat. Im Kinosaal gab es zunächst eine Anmoderation von Julian Janssen, besser bekannt als „Checker Julian“ im gleichnamigen Kinder-Wissensformat des Kinderkanals. Damit holten die Veranstalter jedenfalls ihr jüngeres Publikum ab. Der junge Mann animierte die Besucher zu einem „Warm-up im Cowboy/Cowgirl-Style“ mit gemeinsamem Lassowirbeln und reiten, bevor es dann unisono aus allen Kehlen rief: „Drei, zwei, eins, Film!“.

Nach dem Screening gab es erstmal viel Applaus, auch für den mit seiner Gattin anwesenden Bernhard Schmid, Geschäftsführer des Karl-May-Verlags, den man zwar nicht auf die Bühne holen wollte, dessen Mitwirkung SamFilm sich aber gern versichern wollte, auch wenn es letztlich nur das Logo des Karl-May-Verlags ist, dass die Kinobesucher am Schluss des Abspanns erhaschen konnten. Wieder fand sich Julian Janssen auf der Bühne ein, diesmal um Crew und Cast auf selbige zu bitten. Neben Verantwortlichen bei SamFilm und Leonine fanden sich zahlreiche Positionen aus dem Filmteam vor der Kinoleinwand wieder, die Regisseur Marzuk mit Zettel in der Hand würdigte. Da man mit dem Zeitplan etwas in Verzug war, fiel das Herbeizitieren seiner Kollegen etwas hastig aus, obwohl es an sich interessant war: Marzuk vermittelte immerhin einen guten Eindruck davon, wie viele helfende Hände bei einer Filmproduktion überhaupt nötig sind.

Leider konnten vor allem nicht alle der beteiligten Schauspieler in München anwesend sein. So fehlten beispielsweise Kjell Brutscheidt, der im Film als Bandit Foley zu sehen ist und ganz besonders der kleine Marwin Haas, die wirklich drollige Junior-Ausgabe von Samuel „Sam“ Hawkens, der deshalb auch „tieftraurig“ sei, wie Mike Marzuk erklärte. Bei Kameramann Alexander Fischerkoesen war es schlicht der dicht gedrängte Dienstplan, der eine Anreise verhinderte. Als die Bühne im Saal ordentlich gefüllt war, entlockte Moderator Janssen den großen wie kleinen Stars noch ein paar Fragen, die gerade auch die drei Hauptdarsteller schlagkräftig beantworteten. Ob sie denn wirklich Blutsbrüder seien? Das bleibe geheim, aber die Freundschaft bestehe mittlerweile über die Dreharbeiten hinaus. Wie viel Winnetou stecke in Mika Ullritz? Stur, flink und schnell sei er. Letzteres behaupten zumindest seine Fußballkameraden.

Anatole Taubman, der im Film als Banditenboss Todd Crow androgyn-skurril angelegt ist und damit sogar eine Brücke schlägt zu May-Figuren wie Tante Droll („er oder sie?“ heißt es mehrmals im Film), offenbarte Hollywood-Star Johnny Depp und etwa dessen Rolle in „Fluch der Karibik“ “als Vorbild. Lieber groß anlegen, kleiner könne man die Rolle immer machen. Zum Abschied gab es für die Schauspieler eine Sonnenblume sowie für die kleinen Premierenbesucher – aber nicht nur für die – eine „Wundertüte“, in dem neben einem Mäppchen und Stundenplan für das kommende Schuljahr auch das offizielle Filmplakat sowie das „Winnetou“-Sonderheft des Kindermagazins „TV Helden“ zu finden waren.

Wie kam der langerwartete Film, der von der Deutschen Film- und Medienbewertung mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ ausgezeichnet wurde, nun beim Publikum an? Ein zufriedener Bernhard Schmid, der anschließend noch auf der Premierenparty mitfeiern durfte, brachte es nach dem Kinobesuch treffend auf den Punkt: „Natürlich ist der Film eher frei nach Motiven von Karl May – wichtig ist aber doch, dass er bei den Kindern ankommt.“ Und die, aber nicht nur die, haben sich zumindest amüsiert. Ohne jetzt zu viel von der Handlung verraten zu wollen, zeigte sich dies besonders am finalen Showdown gegen Fiesling Todd Crow, als die Kleinen ganz treuherzig Tom Silver warnen wollten. Aber auch die Großen hatten einiges zu lachen, insbesondere die im Stil von „Der Schuh des Manitu“ komisch angelegten Banditen hielten den Spaßfaktor im Kino hoch. Die schon erwachsene Premieren-Besucherin Katja, die laut eigenen Angaben noch nie einen „Winnetou“-Film gesehen hat, fühlte sich gut unterhalten, „obwohl es ein Kinderfilm und ein deutscher Film ist“, „aber die Story, Natur und Schauspieler haben mich überzeugt“. Auch dass die Kinder in spannenden Szenen ernst rüberkamen, gefiel der jungen Frau. Aber Indigene als Filmfiguren, die auch noch überwiegend deutsch besetzt sind – geht das heute überhaupt noch? In einem deutschsprachigen Film sei das kaum zu umgehen, sagt Regisseur Marzuk selbstkritisch am roten Teppich und freut sich, wenn sein Film einen Anlass bietet, über dieses wichtige Thema ins Gespräch zu kommen. Auf der Bühne spricht der Regisseur dann mehrmals von „Native Americans“ und nicht von „Indianern“, wie auch im Film selbst reflektiert mit solchen kulturellen (Fremd-)Zuschreibungen umgegangen wird: „Schwitzen Indianer eigentlich?“, fragt Tom Silver seinen neuen Freund Winnetou, „bluten Bleichgesichter… eigentlich?“, kontert dieser. „Wir drehen gern Filme über Freundschaft, auch über kulturübergreifende Freundschaften. Aber Filme sollen nicht unterrichten, sondern unterhalten“, erklärt Marzuk.

Christoph Alexander Schmidberger