Für einen kleinen Moment war es heute ganz still in der großen Karl May-Welt. „Ach, Marie!“, schreibt der langjährige Redakteur dieses Magazins auf Facebook. Dazu hat er ein Foto gepostet, das sie natürlich in jener Rolle und in jenem Film zeigt, der sie für Millionen Zuschauer unsterblich machte, der Marie Versini in unzähligen Herzen zu Nscho-tschi werden ließ, zu Winnetous Schwester. Zu einem der Aushängeschilder der erfolgreichsten Filmserie des deutschen Kinos.
Zwei einfache Sätze stehen seit Montag auf der Homepage der Schauspielerin, die sehr vielen Menschen sehr nahe gehen: „Marie Versini ist am 22-11-2021 in Guingamp – France gestorben. Sie dankt allen ihren Fans für ihre Freundschaft und Loyalität.“ Einfach. Und endgültig.

Ganz überraschend kommt die Nachricht nicht. Schon seit längerem war zu hören, dass es der 1940 geborenen Französin nicht gut ging, sie wohl nicht mehr auf einem der Feste und Treffen dabei sein würde, wie so oft in den vergangenen Jahren.
Denn auch das hat einen großen Teil ihrer Beliebtheit ausgemacht, dass sie längst nicht mehr nur das ferne Idol auf der Leinwand oder dem Bildschirm war, wo sie in zig Wiederholungen in Lex Barkers Armen starb, später selbst um den jungen Tom trauerte – und zwischendurch auch im Orient Abenteuer frei nach Karl May erlebte. Aber da war ja auch noch mehr. Sie musste sich gegen Christopher Lee als Dr. Fu Man Chu zur Wehr setzen, stand Klausjürgen Wussow als Sergeant Berry tatkräftig zur Seite, verzauberte ihre Fans in „Liebesnächte aus der Taiga“.
Irgendwann war sie dann ganz nah, saß mit im Kino, in Lennestadt oder in Hamm, schrieb Autogramme, erzählte von damals – oder lächelte einfach still, schaute immer ein wenig verwundert, mit diesen großen und dunklen Augen, als könne sie gar nicht verstehen, dass die Menschen sie auch viele Jahre nach dieser Zeit immer noch derart bewunderten und liebten. Und sie war trotz dieser Nähe nie der Typ zum Umarmen, bewahrte sich immer eine gewisse Distanz, ohne je arrogant zu wirken. Eine kleine, verletzlich wirkende Person, die dennoch viel Freude und Kraft ausstrahlte.
„Ach, Marie!“, hat Kollege Rolf Dernen geschrieben, der genau im richtigen Alter war, um die Karl May-Filme und mit ihnen Marie zu entdecken und für immer ins Herz zu schließen. Das Leuchten in seinen Augen war unübersehbar, wenn die beiden sich wieder einmal über den Weg liefen. Zuletzt hatten er und viele Fans diese Gelegenheit im Frühjahr 2019, als Marie Versini die Karl-May-Messe in Idar-Oberstein besuchte und auch noch einen Abstecher auf die nahe Bühne in Mörschied machte. Gojko Mitic war ebenfalls dabei. Die beiden Arm in Arm zu sehen, mit den Bühnendarstellern, war ein Sinnbild dafür, wie eng die Verbindung zwischen den „alten Stars“ und ihren Fans aller Generationen geworden ist. Und wie schwer es da auch fällt, sich daran zu erinnern, dass diese Filme schon ein halbes Menschenleben her sind, die Schauspieler entsprechend mehr und mehr die Bühne verlassen müssen. Die Reihen lichten sich, und nun ist auch Marie Versini dorthin gegangen, wo Nscho-tschi schon vor fast 60 Jahren voranging. Die Erinnerungen aber werden bleiben, an ihre Rollen, an ihre Präsenz im Kreis der begeisterten May-Freunde. An eine beliebte Schauspielerin, die über die Zeit eine von ihnen geworden war. Eine von uns.

Michael Kunz