Nach fünf Aufführungen hat „Die Kriegskasse“ am Samstagabend den vorläufigen Abschluss erfahren.

Dass sich Katrin Gloggengießer, die Leiterin des Stadtmarketings im beschaulichen St. Goar, vor einigen Monaten entschlossen hat, ausgerechnet diese kleine Geschichte von Karl May aufführen zu lassen, kann sie mit einem einzigen Satz erklären. „Das spielt hier bei uns, im Gründelbachtal.“. Eigentlich sollte sie nur einmal im Archiv schauen, ob es da Material zu den Hintergründen gebe, warum sich der sächsische Autor seinerzeit entschloss, über diesen Ort fern seiner Heimat zu fabulieren. Sie wisse von einer Gedenktafel, sagt Gloggengießer, die unter anderem mit dem Vorsitzenden des heimischen Schützenvereins in Kontakt steht, „der ist ein großer May-Fan“.

Daraus erwuchs die Idee, aus der nicht allzu langen Geschichte eine szenische Lesung zu machen, hier vor Ort, wenige Minuten vom Rhein und den Originalschauplätzen entfernt.

Eingeladen wurde mit den folgenden Worten: Wussten Sie, dass Karl May nicht nur über Einheimische im Wilden Westen, sondern auch über Müller in Sankt Goar geschrieben hat? Das Stück „Die Kriegskasse“ handelt von einer ebensolchen, welche während der Befreiungskriege 1813/1814 vom Sohn des Obermüllers gefunden und an Blücher übergeben wird. Eine Geschichte über Schmuggel, Liebe und Politik am Rhein in der politischen und gesellschaftlichen Gemengelage der Befreiungskriege um 1813.

May veröffentlichte die Geschichte unter dem Pseudonym E. Pollmer im Jahre 1878 und verwob in typischer Weise historische Ereignisse mit privaten Momenten. Zwei Müller sind sich nicht grün, repräsentieren dabei die verfeindeten deutschen und französischen Lager, und werden letztlich durch ihre beiden Kinder, die sich lieben, nach der Niederlage des Korsen zueinander gebracht. Wie im späteren Kolportageroman „Die Liebe des Ulanen“ spielt der alte Marschall Blücher eine gewichtige Rolle.

Unter der Regie von Götz Brandt gibt Schauspieler Christian Klischat in einer launigen Mischung aus Lesung und Rezitation den Erzähler. Er kann sein Publikum mit einem Häuflein einfachster Requisiten für eine gute Stunde begeistern. Er gibt den Figuren eigene Stimmen, vor allem dem Müllersohn Franz einen unverfälschten regionalen Zungenschlag. Der Schauspieler habe schon als junger Mann mit seiner Band im urigen Saal der „Alten Weinstube“ im Ortsteil Werlau gespielt, auf dessen Bühne er an diesem Abend für rund 30 Zuschauer dem Affen und dem Blücher Zucker gibt.

Bislang hatte sich nur der May-erfahrene Martin Lukas aus Bad Kreuznach der Geschichte angenommen und ein YouTube-Hörspiel produziert.

In St. Goar sei ja doch einiges passiert, stellt er eingangs mit einem recht derben Wortspiel fest, da gebe es nicht nur eine Blondine, die mit „ihrem nackten Arsch“ auf einem Felsen sitze und ihr Haar kämme. Der Loreley-Felsen liegt direkt gegenüber am anderen Rheinufer. In diesem Tenor ersetzt er verschmitzt später auch den Grund, warum sich der französische Zollleutnant Jambrieu – Franzens Rivale um die schöne Anna – an diesen bei einer Falle für die Schmuggler verrät. Während Karl May den wartenden Mann versehentlich an sein Stichwerkzeug stoßen lässt, suggeriert Klischat mit dem Mund eine längere Flatulenz, die dem Franzmann entfleucht.

Auch für den restlichen „Soundtrack“ sorgt der Mime selbst, der in seinem recht einfachen Kostüm ein wenig an die düsteren Indianergestalten erinnert, die Nico König seit Jahren in Bad Segeberg spielt. Beim „Uftata“-Marsch für den alten Feldmarschall kommen ein paar Reminiszenzen an Loriot auf.

Klischat trägt ansonsten den unbearbeiteten May-Text vor. Die Version im Band 47 der Gesammelten Werke weist nach wie vor den einen oder anderen überpatriotischen Einschub auf, der offenbar vor gut 100 Jahren zur „Feier“ der alten „Erbfeindschaft“ der europäischen Bruderstaaten addiert wurde. Katrin Gloggengießer hatte während der Probenphase durchaus „ein wenig Sorge, dass nationalistische oder ähnliche Gefühle durch das Stück bedient werden könnten“. Sie selbst kann mit Mays unverblümter Begeisterung für Blücher gar nichts anfangen, bekennt sich offen als Bewunderin Napoleons.  So habe eben jeder seine ganz eigene Haltung, lächelt sie und erinnert sich, in ihrer Jugend „Winnetou“ gelesen und auch die Filme gesehen zu haben. Und sie war in der Berliner Volksbühne und hat sich das dortige Stück von Enis Maci und Mazlum Nergiz angeschaut, „ohne einen richtigen Zugang zu finden“.

Mit der bisherigen  Resonanz auf die „Kriegskasse“ ist sie insgesamt zufrieden, auch wenn es praktisch nur die Hälfte des erhofften Zuschaueraufkommens ist. Wohl aufgrund des Wetters wurden vor allem die angebotenen Wanderungen durch die Gründelbach nicht angenommen, mussten samt anschließender Lesung gestrichen werden. Die sollen aber im kommenden Jahr erneut angeboten werden. Die Organisatorin kann sich auch weitere Aufführungen in anderen Orten der Region vorstellen.

Erstmal soll es aber am 29. und 30. Dezember zwei weitere Termine geben. Bei einem hat sich KMG-Schatzmeister Uwe Teusch, der die Premiere besuchte, mit einem Vortrag angemeldet und möchte auch noch einen anderen Kollegen für den zweiten Tag gewinnen.

Michael Kunz