Das war so eine Sache mit Jochen Bludau und Karl May. Sonderlich geschätzt als Autor habe er ihn eigentlich nicht, hat der langjährige Geschäftsführer des Elspe Festival einige Male durchblicken lassen. Aber natürlich hat er mit dem Namen und den Figuren des Maysters eine Menge Geld und nicht zuletzt Reputation verdient. Das wird in diesen Tagen mehr als deutlich; in diesen Tagen, die der Nachricht folgen, dass der Sauerländer am 9. März im 82. Lebensjahr verstorben ist.
Tatsächlich hatte er schon eine ganz besondere Beziehung zu Karl May, ungeachtet gelegentlicher Überlegungen, „seine“ Bühne für andere Themen zu öffnen. Tausende von Zuschauern erlebten ihn vor allen in den 80er- und 90er-Jahren, wie er auf diese kam, ungeachtet des Wetters von der Sonne schwärmte, die gerade in Arizona „vom Himmel knallte“ und begann, sich zu verwandeln. „Mein Name ist Jochen Bludau, und ich bin hier, um die Rolle des Karl May zu spielen“, begrüßte er das Publikum, erzählte wie er, „Karl May, also ich jetzt“, dieses ganz besondere Universum und den Helden Winnetou erfunden hatte, „alles in meiner Phantasie. Ich bin ja nie dagewesen!“ Nun ja, das war eine gewisse Freiheit, aber er kannte die Bücher des Sachsen, wie kaum ein anderer in der Szene.
Schon 1958 als Winnetou auf der Bühne
1958 bereits war er im Wechsel mit einem Kollegen als Winnetou aufgetreten. Seine Mutter Maria gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Elsper Theatervereins. Später war der 1941 geborene Jochen Bludau beim Bundesgrenzschutz, machte eine Ausbildung zum Sozialpädagogen und Grundschullehrer. Parallel spielte er in den späten 60er-Jahren schon Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, begann etwas später auch, die Textbücher zu schreiben. Bis dahin war überwiegend nach Büchern aus Bad Segeberg gespielt worden. Die Norddeutschen übernahmen dafür 1973 sein „Unter Geiern“.
Stuntmanausbildung und Partnerschaft mit Pierre Brice
Ab Mitte der 1970er stiegen die Zuschauerzahlen in jedem Jahr, setzten Jochen Bludau und einige Weggefährten auf Stuntmanausbildungen und Sprechunterricht. Seine Stücke wurden und sind eine Mischung aus Elementen der Karl-May-Filme, mit Anleihen bei John-Wayne-Western und nicht zuletzt dem Humor von Spencer und Hill. Das letzte noch fehlende Element kam 1976 mit Pierre Brice. Der „Film-Winnetou“ wurde für einen Sommer engagiert und blieb gleich bis 1980. Nach einer Pause war er von 1982 bis 1986 erneut in Elspe dabei. Bis wiederum der „Macher“ Bludau beschloss, das Geschäft auf eigene Beine zu stellen, ohne von Brice abhängig zu sein. Er machte Brice ein Angebot, das dieser nur ablehnen konnte. Der Franzose sollte noch einmal in einer Art von „Best Of“ aus allen Stücken auf der Bühne stehen, danach das Kostüm ausziehen und eine Art von Marketing-Vertreter für Elspe werden.
Bludau wusste, dass sich Brice für einen solchen Schritt noch zu agil fühlte. Er setzte nach eigenem Bekunden dann noch das Gerücht in die Welt, Pierre Brice wolle in einem norddeutschen Freizeitpark eine neue Winnetou-Show etablieren und öffnete ihm auf diese Weise den Weg nach Bad Segeberg. So erzählte er es, aber es gibt auch andere Versionen.
Nach 1993 hinter die Kulissen gewechselt
Er selbst hatte keine Probleme mit dem Bühnenabschied. Nach Brice’ Abgang wurde aus der reinen May-Bühne ein Showpark, mit Stunt- und Tiervorführungen, Country-Musik und Zirkus. Privatkunden und Firmen konnten das Gelände buchen. Die Festspiele gingen weiter, aber Jochen Bludau war schon seit 1993 nicht mehr als Darsteller dabei. Nur vereinzelt zog es ihn wieder auf die Naturbühne. 1997 spielte er den alternden Karl May. 2011 sprang er in der Premiere von „Halbblut“ als Lord Castlepool ein, als der eigentliche Darsteller kurz vor der Pause einen Zusammenbruch erlitt. 2012 gab er fast episch den Henrystutzen an seinen Sohn Oliver weiter, der zu dieser Zeit auch die Geschäftsführung übernommen hatte. Eine schwere Krankheit zwang den jungen Mann, die Bühne wieder zu verlasen, und Vater Jochen kehrte noch einmal für mehrere Jahre in das Amt zurück.
Kein Freund der großen Auftritte
Trotz seiner enormen Erfolge als Old Shatterhand – Pierre Brice bezeichnete ihn später als glaubwürdig in der Rolle – fand der Sauerländer offenbar größere Befriedigung hinter den Kulissen. Als Brice starb, folgte er der Einladung zur Beisetzung nicht und wollte später einmal in Ruhe dessen Grab besuchen. Bei der Premiere im Corona-Jahr 2021 wollte ihn der CDU-Abgeordnete Jochen Ritter auf die Bühne rufen, weil der Saisonauftakt genau auf den 80. Geburtstag Bludaus fiel. Er kam nicht. Nur bei den jährlichen Pressekonferenzen war er noch lange dabei, überließ aber auch diese schließlich seinem Nachfolger in der Geschäftsleitung Philipp Aßhoff.
Viel Respekt erworben
Zum vorletzten Mal auf der großen Bühne zeigte sich Jochen Bludau 2013, als er am Ende der letzten Vorstellung seinen langjährigen Weggefährten Meinolf Pape in den Ruhestand schickte und Respekt bekundete vor einem „einzigartigen Charakterdarsteller“. Wer die Beileids- und Respektsbekundungen liest, die seit dem Freitagmorgen auf allen möglichen Kanälen einlaufen, wird daran erinnert, dass auch Jochen Bludau ein einzigartiger Charakter war. Benny Armbruster, der viele Jahre als Winnetou an dessen Seite ritt, nannte ihn nur den „ Boss“.
Der aktuelle Winnetou, Jean-Marc Birkholz, hat oft die Geschichte erzählt, wie bei seiner letzten Vorstellung im sächsischen Rathen 2006 die ganze Familie Bludau in der ersten Reihe saß. Bludau hatte ihn ein paar Wochen zuvor gefragt, ob er sich vorstellen könne, den Apachen auch auf einer anderen Bühne zu spielen. Seit 2008 ist Birkholz in Elspe dabei. Einige wenige Mitstreiter blieben nur kurz. Aber viele andere kamen immer wieder, wenn Bludau rief.
Der hatte seinen vielleicht denkwürdigsten Auftritt 2013 beim Karl-May-Fest von Michael Petzel, in dessen Rahmen er den „Scharlih“ des Karl-May-Archivs in Göttingen bekam. Angesprochen, warum es in Elspe seit Jahren nur eine überschaubare Serie an unveränderten Stücken gebe, lehnte sich Jochen Bludau gelassen zurück: „Andrew Lloyd Webber lässt sich in seine Verträge schreiben, dass seine Stücke nie geändert werden dürfen. Und ich soll es anders machen??“ Es wurde still im Raum. Selbstbewusst und eine Prise Humor. Ein echter Sauerländer.
Kritisch auf der Höhe der Zeit
Übrigens, wie kaum ein anderer war Jochen Bludau im Netz unterwegs, nahm alle Diskussionen und Debatten sehr genau wahr. Wer eine Frage an ihn hatte, bekam innerhalb von Minuten eine Antwort per Mail. Und selbst die aktuelle Auseinandersetzung um die „Indianerfrage“ hatte ihn schon vor 50 Jahren bewegt. Während sich Pierre Brice bemühte, seine Winnetou-Interpretation immer näher an die Realität heranzuführen, schrieb Bludau als erster eine Winnetou-Trilogie für die Bühne, in der er sehr deutlich auf die Themen Landnahme und Vernichtung der indigenen Welt einging. Seinem „Winnetou I“ stellte er einen Prolog voran, in dem er seine Phantasie mit der nüchternen Realität konfrontiert, mit betrunkenen Indianern von der Reservation, mit der Kavallerie, die ein Tipi mit einer friedlichen Familie in die Luft jagt. Solle er nun alle seine Bücher in den Müll werfen, oder doch die Menschen weiter für zwei Stunden in eine Welt der Anständigkeit und Gerechtigkeit entführen, fragte er als Karl May auf der Bühne. Das war in der Folge von Filmen wie „Little Big Man“ oder „Soldier Blue“ nicht völlig überraschend, für eine Familienshow nach Karl May aber letztlich doch. Er blieb bei der mehr oder weniger heilen Welt, aber ganz so heil war sie eben doch nicht. Im ersten Abenteuer kommt die Eisenbahn und mit ihr die gierigen und mörderischen Goldsucher. In „Winnetou II“ wird nach Öl gebohrt, ein Weißer zum Häuptling gemacht. Und im dritten Stück ziehen die Indianer mit Sack und Pack über die Bühne, werden immer mehr verdrängt und auch für einen Winnetou ist nur noch als Legende Platz. 2017 kam er bei der Wiederaufführung von „Winnetoi I“ ein letztes Mal mit der Stagecoach hereingefahren. Da stellte er sich dann gleich als „Karl May“ vor – und bekam donnernden Applaus.
Jochen Bludau hat im Sauerland etwas Großes und Bleibendes geschaffen. Er war durch seine Vereinfachung der Grundideen Mays und das Festhalten an einigen wenigen Stücken nicht unumstritten. Aber mit ihm geht eine nichtsdestotrotz sehr bedeutende und einflussreiche Persönlichkeit. Ohne „sein“ Elspe“ hätte es viele andere Bühnen nicht gegeben.
Im Sommer 2013 bekam Jochen Bludau den erwähnten „Scharlih“ überreicht, den Ehrenpreis des Karl-May-Archivs, den bis dahin überwiegend nur Mitwirkende der Karl-May-Filme bekommen hatten. Das zeigte den besonderen Stellenwert, den der Festspielmacher aus dem Sauerland in der Szene genoss und wohl immer genießen wird.
Er wird fehlen.
Michael Kunz