Fast 70 Jahre alt sind die Bad Segeberger Karl-May-Spiele nun, doch eine solche Saison, wie sie gestern Abend am Kalkberg eröffnet wurde, gab es noch nie.

Nach der Corona-bedingten Absage sowohl der letzten als auch diesjährigen Spielzeit verkündeten die Karl-May-Spiele erst vor wenigen Wochen, in diesem Jahr doch zu spielen: ein Live-Hörspiel, nicht im großen Freilichttheater, in dem sonst bis zu 7.500 Besucher sitzen, sondern im benachbarten „Indian Village“, einer kleinen Westenstadt neben dem Theater.

Dort hat man nun eine kleine Bühne und 300 Sitzplätze geschaffen. Bei bestem Wetter erlebte das Premierenpublikum dort gestern Abend eine außergewöhnliche Karl-May-Inszenierung: Sieben Ensemblemitglieder der eigentlich geplanten Inszenierung „Der Ölprinz“ verkörperten verschiedene Rollen eines neuen Stückes, das Autor Michael Stamp eigens aus diesem Anlass geschrieben hatte: „Winnetou – Das Gold der Rocky Mountains“, eine Adaption von Karl Mays „Weihnacht“-Roman ohne die Elemente, die May in winterlichem Setting angesiedelt hatte, ergänzt um einige humoristische Szenen, eines der Markenzeichen Michael Stamps. Allein die Wahl von Mays „Weihnacht“-Stoff macht das Stück zu einer Besonderheit, denn er kam in der Karl-May-Bühnengeschichte bisher kaum vor (bislang sind lediglich zwei Textbücher sowie eine Inszenierung bekannt, in der Auszüge aus „Weihnacht“ gespielt wurden). Ebenso etwas Besonderes: Bad Segeberg hat mit „Winnetou“ Sascha Hödl und „Old Shatterhand“ Joshy Peters ein neues Blutsbrüderpaar (siehe unser Foto, dass die beiden sowohl während der Premiere des Live-Hörspiels als auch am Folgetag bei einer Fotogelegenheit im großen Freilichttheater am Kalkberg zeigt).

Heraus kam in Bad Segeberg nun ein stimmungsvolles 90-Minuten-Stück, in dem die Mitwirkenden durchweg brillierten. Sie lasen ihre Rollen nicht einfach vor, sondern verkörperten sie in der Intimität einer kammerspielartigen Atmosphäre, begleitet von den Geräuschemachern Marc Francisco und Patrick L. Schmitz und einer effektvoll eingesetzten Musik. So entstand ein Open-Air-Live-Erlebnis im Zeichen Karl Mays und eine Inszenierung der besonderen Art, bei der die Akteure besonders gefordert waren, ein Kopfkino zu erzeugen. Aber auch auf der Bühne sorgten die einzelnen Akteure, deren Outfits sowie zahlreiche Requisiten dafür, dass einiges fürs Auge geboten wurde.

Erstmals trat in Bad Segeberg Michael Stamp, der seit mehr als zwanzig Jahren die Textbücher für die Karl-May-Spiele schreibt, auch als Regisseur in Erscheinung. Ihm gelang es, die Stärken der mitwirkenden Schauspielerinnen und Schauspieler herauszuarbeiten. So stellte etwa gleich zu Beginn Jogi Kaiser sein Talent als Sänger unter Beweis, ebenso Melanie Böhm, die für weitere überzeugende musikalische Einlagen sorgte.

Fast alle Akteure traten in mehreren Rollen auf und bewiesen somit ihre schauspielerische Vielfalt. Patrick L. Schmitz war nicht nur Geräuschemacher (er konnte bereits mit Radio-Live-Theater Erfahrungen sammeln und stand mit diesen Regisseur Stamp zur Seite), sondern auch Dichter Heinz-Egon Winzigmann, Avat-Niah und der alte Lachner. Jogi Kaiser, der auch schon in Elspe auftrat, spielte den Sam Hawkens, den Gangsterboss Corner und den Baron von Hiller. Fabian Monasterios gab den Häuptling Peteh und den Prayer Man, Melanie Böhm die Saloonlady Rosita und die Baronin Elise von Hiller, und Kalkberg-Neuzugang Jan Stapelfeldt sah und hörte man als Carpio und Wagare-tey.

Da Bad Segebergs eigentlicher Winnetou Alexander Klaws wegen anderer Verpflichtungen nicht mitwirken konnte, kamen die Karl-May-Spiele in dieser Saison zu ihrem neuen Winnetou Sascha Hödl. Für ihn ist die Rolle allerdings kein Neuland: Fünf Jahre spielte er sie bereits bei den Karl-May-Festspielen im österreichischen Winzendorf, bevor er 2018 an den Kalkberg kam. Dass er nun an seine Erfahrungen aus Österreich anknüpfen kann, kommt dem Live-Hörspiel zugute; Hödls Segeberger Winnetou-Einstand gelang auf ganzer Linie.

Tragende Säule der Inszenierung ist Joshy Peters, der wie bereits mehrfach seit 1987 einen überaus überzeugenden Old Shatterhand abgab. Als Off-Sprecher wirkte zudem Kalkberg-Veteran Nicolas König mit.

„Winnetou – Das Gold der Rocky Mountains“ empfiehlt sich als Stück, das, in einer angepassten Fassung, auch bestens für die Aufführung im großen Freilichttheater geeignet wäre.

Das Live-Hörspiel wird im „Indian Village“ in Bad Segeberg noch bis zum 18. Juli gespielt, Vorstellungen finden jeweils donnerstags bis sonnabends ab 15 und 19 Uhr sowie sonntags ab 15 Uhr statt. Tickets und Infos: www.karl-may-spiele.de