Der Zustand hinter den Kulissen des Radebeuler Karl-May-Museums nach der fristlosen Entlassung der langjährigen Direktorin Claudia Kaulfuß erinnert an die derzeitige Situation der SPD: Ein Super-GAU, in den sich die Führungsriege selbst katapultiert zu haben scheint, und Reaktionen, die sich mit einer Mixtur aus Bestürzung, Frust, Mitleid, Ratlosigkeit und Realsatire beschreiben lassen. Nun hat sich auch der Vorstand des noch zu DDR-Zeiten gegründeten Fördervereins des Karl-May-Museums mit den Mitarbeitern der Einrichtung solidarisiert. Diese hatten am vergangenen Wochenende geschlossen ein Protestschreiben an Vorstand und Kuratorium der Stiftung unterzeichnet, in dem man scharfe Kritik übte, sich vom Vorstand distanzierte und mit der Ex-Chefin solidarisierte – ein in der wechselhaften Geschichte des Museums einmaliger Vorgang, der den Museumsmitarbeitern in der Karl-May-Szene Respekt und Anerkennung bescherte. Der Vorstand des Fördervereins Karl-May-Museum e.V., dessen Schatzmeisterin die Gekündigte nach wie vor ist, teilte am 8. Februar mit: „Wir bedauern alle sehr die völlig unerwartete Kündigung von Frau Kaulfuß als Leiterin des Museums. Der Vorstand hält auch die Art und Weise, wie diese Kündigung vollzogen wurde, nicht für gut und solidarisiert sich mit den Mitarbeitern des Museums.“
Wie berichtet war Claudia Kaulfuß am 1. Februar 2018 überraschend fristlos gekündigt worden. Wieso und weshalb, das ließ der Vorstand der Karl-May-Stiftung zunächst offen. Nach KARL MAY & Co.-Informationen begründete er die fristlose Kündigung zunächst weder der Belegschaft gegenüber noch dem Kuratorium der Karl-May-Stiftung, das so eine ähnliche Rolle wie die eines Aufsichtsrat hat. Dem Kuratorium hatte man nach der fristlosen Entlassung von Kaulfuß’ Vorgänger René Wagner – auch damals ein kommunikatives Desaster –, eigentlich in Aussicht gestellt, künftig transparenter zu arbeiten und derart wichtige Entscheidungen nicht im Alleingang herbeizuführen, was allerdings nicht in die Tat umgesetzt wurde: Das Kuratorium erfuhr erst nach vollzogener Kündigung von der Angelegenheit, die Gründe blieben zunächst ungenannt. Bei einer solchen Vorgehensweise verwundert es kaum, dass sich schnell interner Widerstand regte, sowohl im Kuratorium als auch in der Belegschaft des Museums.
Es ist wohl so etwas wie das kleine Einmaleins der Krisenkommunikation: Sagst du nichts, sagen andere etwas. Und so erschienen zu Beginn der vergangenen Woche mehrere Artikel in der Sächsischen Zeitung und den Dresdner Neuesten Nachrichten, die den Gründen für die fristlose Entlassung der beliebten Museumsdirektorin nachgingen. „Claudia Kaulfuß hat nun offenbar als Geschäftsführerin der Stiftung einen Vertrag unterschrieben, mit dem sie möglicherweise ihre Kompetenzen überschreitet“, berichtete die Sächsische Zeitung und bezog sich auf das große Neubauvorhaben mit einem neuen Gebäude und Parkplatz an der Meißner Straße („Ein Acht-Millionen-Euro-Vorhaben“). „Bei einem Vorhaben dieser Größenordnung gibt es für die Architekten üblicherweise eine Entwurfsplanung und einen Generalplanvertrag. Ersterer ist nicht das Problem. Ein Generalplanvertrag aber darf erst nach einer europaweiten Ausschreibung unterzeichnet werden. Das besagen die Richtlinien, wenn es Fördergeld geben soll. Mit dem Vertrag könnte nun die Fördermittelvergabe gefährdet sein. Für eventuelle Forderungen der Architekten kann der Stiftungsvorstand haftbar gemacht werden. Karl-May-Stiftungsvize Harder, der sich noch am Vortag auf ‚kein Kommentar‘ zurückgezogen hatte, widerspricht dieser Darstellung nicht. Er sagt allerdings, das Gesamtprojekt sei nicht gefährdet. Und: ‚Frau Kaulfuß hat kein Hausverbot. Wir werden mit ihr sicher noch reden müssen.‘“, so die Sächsische Zeitung.
Pikant dürfte hierbei sein, dass der erwähnte Vertrag nach Informationen von KARL MAY & Co. nicht allein von Claudia Kaulfuß unterzeichnet worden sein soll, sondern auch vom Vorstand der Stiftung. Details, mit denen sich künftig wohl Gerichte werden auseinandersetzen müssen.
Die Zeitungen berichteten auch, dass als Interimsgeschäftsführer nun Ralf Harder, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Karl-May-Stiftung und ehemaliger Geschäftsführer des Silberbüchse e. V. (Harder schmiss dort 2016 hin), eingesetzt worden sei, bis am 1. April der neue Museumsdirektor Dr. Christian Wacker seinen Dienst antritt. Dieser sollte eigentlich zusammen mit Kaulfuß eine Doppelspitze bilden und darf sich nun darauf einstellen, beide Jobs in Personalunion auszuüben. Zudem habe, wie die Sächsische Zeitung berichtete, bis Wackers Start der stellvertretende Museumsleiter und Kustos Robin Leipold vorübergehend die eigentlichen Geschäfte übernommen.
Die Reaktionen auf die Radebeuler Chaos-Tage im Internet fallen nahezu durchweg negativ aus. Während das Diskussionsforum auf den Internetseiten der Karl-May-Stiftung ohnehin bereits seit Wochen „wegen Wartungsarbeiten“ geschlossen ist, sorgen die unerfreulichen Ereignisse in den Social-Media-Kanälen und auf den Webseiten der Zeitungen, die sich des Themas annahmen, für Gesprächsstoff. „Warum hat man nicht vorher einfach mal miteinander geredet[?]“, fragt der Leser der Sächsischen Zeitung „Timo W.“. „Ich bedanke mich für die hervorragende und fachliche Arbeit von Frau Kaulfuss. Ich hoffe[,] es kommt die ganze Wahrheit ans Licht und nichts als die Wahrheit“, so ein Leser der Dresdner Neuesten Nachrichten, der sich „Mutmacher“ nennt. „Wenn man so mit einer langjährigen Mitarbeiterin[,] die viel Gutes geleistet hat[,] umgeht[,] könnte ich vor Wut an die Decke gehen. Egal[,] was auch passiert[,] Claudia Kaulfuss ist für mich eine Frau[,] die Größe[,] Mut und Kompetenz besitzt[,] und ihre Erfolge zeigen es auch“, so Marlou Schmerberg auf den Facebook-Seiten des Fördervereins des Museums. „An den Vorstand: Wenn nur noch Gehorsam gefragt ist und nicht mehr Charakter, dann geht die Wahrheit, und die Lüge kommt“, so Sven Richter auf derselben Seite. Christoph Alexander Schmidberger schreibt auf den Facebook-Seiten von KARL MAY & Co.: „Sollte man nicht überbewerten. […] Sowas passiert überall.“ Und Jenny Florstedt, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Karl-May-Haus, kommentiert auf denselben Seiten: „Man sollte in jedem Fall Herrn Wacker den Tipp geben, dass er seinen Lieblingsanwalt mit auf die Weihnachtskartenliste nimmt… Der merkwürdige Umgang mit bzw. Abgang der Direktoren in Radebeul scheint sich zur Tradition zu entwickeln.“