Zur derzeitigen Radebeuler Krise sprachen wir heute Vormittag (22.05.2020) mit Christian Wacker, der im KARL MAY & Co.-Interview sein Vorgehen, die Öffentlichkeit eingebunden zu haben, rechtfertigt und der die Hoffnung nicht aufgegeben hat. Er sagt: „Kommen Sie bitte alle ins Karl-May-Museum!“ – und ist sich sicher: „Wir brauchen eine grundlegende Veränderung“.

Vergangene Woche hat Dr. Christian Wacker, der bisherige Direktor und Geschäftsführer des Karl-May-Museums Radebeul, in einem offenen Brief die Gründe für seine Kündigung dargelegt. Er machte dem Vorstand der Karl-May-Stiftung schwerwiegende Vorwürfe (KARL MAY & Co. berichtete). Seitdem haben sich die Ereignisse überschlagen; Wacker wurde fristlos gekündigt und als sein Nachfolger der frühere Direktor René Wagner bestimmt, der unter anderem wegen Stasi-Verstrickungen umstritten ist. Forderungen der Belegschaft des Karl-May-Museums wurden vom Vorstand der Karl-May-Stiftung nicht berücksichtigt, die Mitarbeiter wünschen sich – wie Wacker – einen grundlegenden Wandel der Stiftungs- und Museumsstrukturen.

Herr Wacker, stimmt es, dass der Oberbürgermeister von Radebeul, Bert Wendsche, der zugleich Vorstandsvorsitzender der Karl-May-Stiftung ist, und der Radebeuler Rechtsanwalt Klaus Voigt, der auch im Vorstand der Stiftung sitzt, am Dienstag bei Ihnen zuhause erschienen, um Ihnen die fristlose Kündigung und eine Unterlassungserklärung zu überreichen?

Ja, das war für mich eine große Überraschung. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt Besuch vom früheren Vorsitzenden der Karl-May-Gesellschaft, Johannes Zeilinger, der unfreiwillig Zeuge dieses denkwürdigen Ereignisses wurde. Wendsche und Voigt kamen an meine Wohnungstür und haben mir dort die fristlose Kündigung und eine Unterlassungserklärung überreicht, die ich unterzeichnen sollte. Was ich natürlich nicht getan habe, da ich mir den Mund nicht verbieten lasse. Glücklicherweise leben wir in einem Land, in dem man seine Meinung frei äußern darf.

Ihre Kritik am Vorstand der Karl-May-Stiftung hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Hatten Sie dies erwartet?

In dieser Intensität hatte ich es nicht erwartet, ich war aber sehr glücklich über viele Reaktionen, die es auch aus der Karl-May-Szene gab. Ich merke hieran, dass es in der Szene und über sie hinaus eine große Leidenschaft für das Karl-May-Museum gibt. Dieses Kleinod will man sich nicht kaputtmachen lassen. Und ebenso erhalte ich durch die Reaktionen auch eine Bestätigung dessen, was ich in meinem offenen Brief an Kritikpunkten geäußert habe. Dabei sind die geforderten Reformen innerhalb der Karl-May-Stiftung notwendig, um sie und das Museum zukunftsfähig zu machen. Die Vergangenheit zeigt: Das geht nicht mit den derzeit handelnden Personen. Und dabei bin ich ja nicht der erste Museumsdirektor, der im Streit geht. Die Probleme gibt es bereits seit längerem.

Sie sagten in Ihrem offenen Brief unter anderem: „Um eine solche Institution zukunftsfähig machen zu können, muss sie inhaltlich und technisch aber vor allem ideologisch entstaubt werden.“ Was meinen Sie damit genau?

Wir leben in einer neuen Zeit. Karl May ist vor mehr als 100 Jahren gestorben, wenige Monate nach der Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden. Sieht man sich den damaligen Ausstellungskatalog an, wird deutlich: Dresden war damals bewusst als Ort für dieses Ereignis ausgewählt worden, weil es mitten in Europa lag und es in und um Dresden ein weltoffenes, tolerantes Publikum gab. Dresden war eine pulsierende Metropole, in der sich Menschen wie Karl May und andere Künstler zuhause gefühlt haben, gerade auch wegen der Toleranz. Wenn wir das weiterspiegeln, ist es doch die Pflicht der Karl-May-Stiftung, die in ihrer Satzung verankerten Grundsätze – wie Toleranz und Völkerverständigung – weiter zu pflegen, also auch selbst zu praktizieren, und in die Zukunft zu bringen. Das ist absolut notwendig. Ich habe jedoch beoachtet: Es gibt in der Stiftung einen ziemlichen Filz, der sich über die Jahre entwickelt hat. So versuchen vereinzelte May-Prediger, ihre Meinung zu May durchzudrücken. Dies steht allerdings auch konträr zur Historie Dresdens. Denn was bedeutet Toleranz? Dass man seinem Gegenüber seine Meinung lässt und diese offen ausgesprochen werden darf. Das widerspricht sich mit der versuchten Kanalisierung von Meinungen. Doch ein modernes Museum muss einen Diskurs zulassen. Deshalb ist es notwendig, Ideologien zurückzufahren. Jede Meinung ist willkommen. Und das Museum muss hierfür die Bühne sein. Doch derzeit lassen dies zu viele Leute in der Stiftung nicht zu.

Was ist denn mit den Karl-May-Experten? Brauchen Sie die für den Museumsbetrieb gar nicht?

Die größte Schwierigkeit, notwendige Reformen in der Karl-May-Stiftung umzusetzen, ist: May-Enthusiasten sitzen an Schlüsselstellen, die für den Betrieb des Museums wichtig sind. Ich brauche da keine May-Spezialisten, die sogar kontraproduktiv sein können. Das May-Knowhow ist aber natürlich dennoch wichtig, nur sollte man dieses nach meiner Auffassung in einem Museumsbeirat bündeln. Allerdings dürfte man hier nicht nur eine einzige Meinung zu May zulassen.

Stiftung und Museum stecken in einer Krise. Der Vorstand der Stiftung wirft Ihnen vor, diese Krise mit Ihrer öffentlich geäußerten Kritik und der Offenlegung von Interna ausgelöst zu haben. Wie lautet Ihre Reaktion auf diese Vorwürfe?

Man kann da ganz sachlich drauf gucken: Der Museumsleiter hat gekündigt und seine Kündigungsgründe auf den Tisch gelegt. Das heißt: Die Schwierigkeiten bestanden also schon vorher. Meines Wissens ist der Vorstand gebeten worden, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Ich glaube, das ist noch nicht passiert. Nun versucht man stattdessen, mir Verfehlungen vorzuwerfen. Das ist nicht sehr zielführend. Kann man zwar alles machen, aber darum geht es jetzt nicht. Die Stiftung hat ein massives Problem der Akzeptanz und des Vertrauens. Das ist das einzig Wichtige. Das Personal des Karl-May-Museums ist so gut: Die können das Museum auch ohne mich locker ein, zwei Jahre weiterführen, die brauchen gar keinen Geschäftsführer, der von außen kommt. Es könnte auch jemand aus dem Team machen.

Ihren Job hat jetzt allerdings René Wagner übernommen.

Das hat mich sehr erstaunt und sehr überrascht. Nicht nur, dass man ihn gefragt hat, sondern auch, dass er zugesagt hat. Immerhin ist er selbst ja mal von der Stiftung entlassen worden. Abgesehen davon habe ich ein Problem mit René Wagners politischen Ansichten.

Nun ist Ihnen fristlos gekündigt worden. Hat sich damit auch Ihr Vorschlag erledigt, dem Museum ehrenamtlich als Berater zur Verfügung zu stehen, um einen grundlegenden Wandel zu begleiten?

Das ginge natürlich nur, wenn die fristlose Kündigung zurückgenommen würde. Damit müssen sich jetzt Anwälte auseinandersetzen.

Hatten Sie die in Ihrem Brief geäußerten Probleme und Missstände zuvor bereits dem Vorstand der Karl-May-Stiftung gegenüber zum Ausdruck gebracht und haben Sie im Kuratorium diese Missstände offen kritisiert?

Ich bin hier zunächst den offiziellen Weg gegangen und habe im Februar das Vorstandsmitglied Thomas Grübner darüber informiert, dass ich kündigen werde. Mein offener Brief ist auch mein Kündigungsschreiben gewesen, das ich auf einer außerordentlichen Vorstandssitzung im März präsentiert habe. Wir sind auch bei Herrn Straßer, dem Präsidenten des Kuratoriums der Karl-May-Stiftung, in München gewesen, um die Gründe für meine Kündigung zu besprechen. Dass Herr Straßer dann offenbar die einzelnen Kuratoren nicht zeitnah informierte, wundert mich. Vermutlich hatte er die Hoffnung, dass die Sache nicht zu hohe Wellen schlägt und sich schon irgendwie erledigen werde.

Warum hatten Sie kein Interesse daran, den notwendigen Umschwung mit dem weiteren Wirken Ihrer Person in Radebeul zu verbinden? Sie hätten doch intern auch die Vertrauensfrage stellen können und Vorstand und Kuratorium signalisieren können: Es muss sich dies und jenes ändern, sonst kann ich hier nicht weiterarbeiten.

Es gab ja eine Vorgeschichte. Ich habe anfangs versucht, an den Strukturen zu arbeiten und auch Grenzen aufzuzeigen. Ein Beispiel: die Beendigung des Museumsmagazins „Der Beobachter an der Elbe“. Hier gab es zwischen dem Chefredakteur Ralf Harder und mir als Herausgeber des Magazins Meinungsverschiedenheiten, etwa zu dem erwähnten Artikel einer amerikanischen Professorin.
Entscheidend ist: Ich habe die Organisation trotz der vergleichsweise kurzen Zeit so gut kennen gelernt, dass ich irgendwann wusste, dass man mit nur intern geäußerter Kritik nicht weiterkommen werde. Daher war es notwendig, die Öffentlichkeit zu suchen, nicht nur für mich selbst als Ehrenrettung, sondern vor allem auch für die Mitarbeiter des Karl-May-Museums. Die Einmischung des Vorstands in die alltägliche Museumsarbeit – etwas, das es offenbar auch bereits vor meiner Zeit gegeben hat – muss aufhören. Das ist unheimlich kontraproduktiv.

Hatten Sie sich eigentlich vor Ihrem Antritt im Karl-May-Museum ein Bild von der Vergangenheit der Stiftung gemacht? Immerhin gab es bereits früher aufsehenerregende Entlassungen von Führungskräften.

Ich habe vor meiner Zusage für diesen Job in Radebeul überhaupt nicht recherchiert, was die Stiftung angeht. Meine Entscheidung war eine extrem emotionale. Ich hatte einen guten Bezug zu Karl May und fand es unglaublich wichtig, das Museum in die Zukunft zu führen. Und die Rahmenbedingungen klangen im Vorstellungsgespräch gut. Das war für mich Motivation genug. Daher wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht viel. Ich freute mich auch auf die Zusammenarbeit mit Claudia Kaulfuß, die ich im universitären Bereich kennengelernt hatte – sie war eine meiner Studentinnen – und mich auf die Stelle in Radebeul aufmerksam gemacht hatte. Wir können uns gut leiden. Nachdem ich dann unterschrieben hatte, wurde ihr gekündigt.

Man wirft Ihnen vor, mit den Begriffen Mobbing und Homophobie bei Ihrer Kritik am Stiftungsvorstand zu hoch gegriffen zu haben. Warum treffen diese Worte Ihrer Ansicht nach zu?

Die Homophobie lässt sich an der Ablehnung des Beitrags der amerikanischen Wissenschaftlerin für den „Beobachter an der Elbe“ erkennen. Aus dem Vorstand wurde der Artikel abgelehnt, weil er „dem Gerücht, May sei homosexuell gewesen, neue Nahrung geben“ könnte. Außerdem wurde mir aus dem Vorstand deutlich gemacht, dass May „nicht mit ‚Schwulengeschichten in Verbindung‘ gebracht werden“ solle. Hier hatte man also offensichtlich Berührungsängste mit einem Thema, mit dem man offen umgehen sollte. Es zeigt sich hieran auch, dass die in der Stiftungssatzung verankerten Werte wie Toleranz nicht gelebt werden. Damit meine ich auch die Toleranz, andere Meinungen und einen Diskurs zuzulassen.

Was den Begriff des Mobbings angeht: Klar, da gibt es offizielle Definitionen. Über diese können sich Rechtsanwälte streiten. Für mich ist allerdings Mobbing, wenn hinter meinem Rücken versucht wird, meine Person zu diskreditieren. Dies ist sehr problematisch und widerspricht einer offenen Kommunikation, die ich immer gelebt habe. Auch im Stiftungsvorstand habe ich stets offen gesprochen und mich mit Kritik nicht zurückgehalten. Diese Kultur der offenen Diskussion haben zwar die früheren Vorstandsvorsitzenden Werner Schul und Thomas Grübner durchaus praktiziert, aber es war für sie auch sehr schwierig, da es im Vorstand Leute gibt, die eine andere Art der Kommunikation haben. Durch diese wird unglaublich viel Feuer entfacht.

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation für Ihre Ex-Mitarbeiter ein?

Die Ex-Kollegen sind sehr solidarisch und haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Ich schätze, dass dort niemand davon ausgeht, dass René Wagner lange Geschäftsführer bleibt. Es handelt sich ja um eine Interimszeit, die für beide Seiten allerdings nicht einfach wird. Die Mitarbeiter stehen alle zum Karl-May-Museum, aber nur solange sie einen Hoffnungsschimmer auf Veränderungen erkennen können. Ich habe Skepsis, dass die Organisation selbst reformwillig ist. Dennoch habe ich noch Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten wenden wird.

Welche Lösung könnte hier zu einem Befreiungsschlag führen?

Ich hoffe, dass man unseren Hilferuf erhört und sich von außen ein starker Partner hervortut, der dafür sorgt, dass die Museums-GmbH von der Stiftung ein Stück weit gelöst wird. (Anm. der Redaktion: Die Opposition im Rat der Stadt Radebeul hat hierzu derweil einen Vorschlag gemacht, siehe unseren gesonderten Beitrag.) Denn ich bin sehr skeptisch, dass die Museumsarbeit so funktioniert wie bisher. Wir brauchen eine grundlegende Veränderung. Von dieser ist sicher auch abhängig, wie sich die Mitarbeiter weiter positionieren werden. Bekommt die Belegschaft erneut einen neuen Geschäftsführer einfach so vorgesetzt, dann wird sicher jemand gehen. Dies zu verhindern, war ein zentraler Grund dafür, die Probleme öffentlich zu machen.

Wie ist die wirtschaftliche Situation des Museums nach der Schließzeit durch die Corona-Krise?

Die wirtschaftliche Situation ist nicht gut, wie in jedem Museum derzeit. Das Karl-May-Museum ist allerdings aus meiner Sicht noch nicht insolvenzgefährdet. Ich hatte einen Alert an den Vorstand geschickt und einige Alternativen durchgespielt, wie die Situation finanziell zu stemmen ist. Sehr entscheidend ist: wie viel Besucher jetzt ins Museum kommen. Daher der Aufruf: Kommen Sie bitte alle ins Karl-May-Museum! Die Karl-May-Stiftung befindet sich in einer guten finanziellen Situation, die gGmbH hat ihre Schwierigkeiten, die allerdings corona-bedingt sind. Da bin ich aber hoffnungsfroh, da vom Land Unterstützung in Aussicht gestellt wurde.

Am Mittwochabend wählte der Radebeuler Stadtrat einen Vertreter der Neuen Rechten zum neuen Kulturamtsleiter. Welche Bedeutung hat diese Personalie für Radebeul und das Karl-May-Museum?

Die Meldung hat mich schockiert. Ich kenne den Herrn nicht, aber das, was man über ihn in Erfahrung bringen kann, stimmt nicht sehr hoffnungsfroh, dass das mit Karl May und dessen Werten, die auch in der Stiftungssatzung verankert sind, in Einklang zu bringen ist.