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Radebeul und kein Ende: Derzeit befinden sich Karl-May-Museum und -Stiftung in einer beispiellosen Krise, nachdem der bisherige Museumsdirektor Christian Wacker gravierende Missstände im Vorstand der Stiftung öffentlich kritisierte (KARL MAY & Co. berichtete). Nun ist die Kulturszene Radebeuls duch einen weiteren Vorfall in Aufruhr: Am Mittwochabend wählte der Stadtrat unter anderem mit den Stimmen von CDU und AfD den für rechte Äußerungen in der Kritik stehenden Schriftsteller Jörg Bernig zum neuen Leiter des Kulturamtes – zum Entsetzen zahlreicher Radebeuler Kulturschaffender, die nun auf die Barrikaden gehen.

Unter ihnen befindet sich auch Herbert Graedtke, der erste „Old Shatterhand“ auf der Felsenbühne Rathen zu DDR-Zeiten: Er stand dort 1984 in „Der Schatz im Silbersee“ auf der Bühne und blieb ihr bis zuletzt treu. Als langjähriges Ensemblemitglied der Landesbühnen Sachsen spielte er etliche May-Rollen, und als freischaffender Schauspieler und Regisseur war er auch an anderen Karl-May-Inszenierungen beteiligt, etwa an den Greifensteinen, in Waldenburg und Hohenstein-Ernstthal. Doch nicht nur als Shatterhand oder Klekih-petra (wie zuletzt 2019 in Rathen) war er in Sachen May zu sehen: Als 1999 die ARD den „Tatort“ „Auf dem Kriegspfad“ drehte, stand Greadtke als Leiter des Karl-May-Museums vor der Kamera.

Graedtke will nun angesichts der Wahl des „Neurechten“ Bernig aus Protest den Kunstpreis der Stadt Radebeul zurückgeben, der ihm 2006 verliehen worden war – neben anderen Radebeuler Kulturschaffenden, die mit der Auszeichnung geehrt wurden (auch Bernig erhielt diesen Preis).

Ebenso kursiert in Radebeul ein Schreiben von Kulturschaffenden, die Bernig als Kulturamtsleiter ablehnen. Bernig, in dessen künftigen Aufgabenbereich auch die traditionsreichen Karl-May-Festtage im Radebeuler Lößnitzgrund fallen würden, habe laut Sächsischer Zeitung in neoreaktionären und rechtsextremen Publikationen veröffentlicht und sei Anhänger der These einer geplanten „Umvolkung“ Deutschlands durch „Illegale Masseneinwanderung“. Er habe darüber hinaus, so die Sächsische Zeitung, Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer „Feudalherrscherin“ verglichen und sei der Ansicht, sie schöpfe aus den gleichen „Brunnen des Bösen“ wie Nationalsozialismus und Stalinismus.

Die Kulturschaffenden, die den Brief gegen Bernig in Umlauf brachten, äußerten darin „Entsetzen und Unverständnis“ und warnen vor „fatalen Folgen für die Stadt, deren Bewohner und die einzigartige Kulturlandschaft“. Bernig sei jemand, der „im Widerspruch zu all dem steht, was die Radebeuler Kulturlandschaft seit Jahrzehnten prägt und einzigartig macht“, heißt es in dem Brief, der KARL MAY & Co. vorliegt. Die Wahl Bernigs sei „ein folgenschweres Zeichen fur den Stellenwert der Kultur in unserer heutigen Zeit. Gerade jetzt, da die Gesellschaft zunehmend gespalten wird, Hass viel zu oft auf der Tagesordnung steht und Argumente immer seltener gehört werden, sollte dieses so wichtige Gut mit allen zur Verfugung stehenden Mitteln geschützt und bewahrt werden. Aus einer Kulturstadt wie Radebeul sollte ein Zeichen des Zusammenhalts, der Solidarität und der Weltoffenheit ausgehen, das beispielgebend fur andere Städte ist – genau dies sollte die übergeordnete Rolle eines Kulturamtsleiters sein. Stattdessen aber wird nun bereits vor Amtsantritt mit fragwürdigen, kleingeistigen Äußerungen die gesamte städtische Kulturszene in Verruf gebracht. Unter den gegebenen Umständen sehen wir uns daher nicht in der Lage, unsere Ziele und Ideale als Kulturschaffende mit der Tätigkeit Dr. Bernigs als Kulturamtsleiter in Einklang zu bringen“, schreiben die Kulturschaffenden, zu denen auch Helmut Raeder gehört, dem langjährigen Programmverantwortlichen der Karl-May-Festtage, zugleich Preisträger des Kunstpreises, den Raeder ebenfalls zurückgeben wolle. Ebenso fehle Bernig laut dem Schreiben „jede fachliche Eignung als Kulturamtsleiter“.

In der Kritik steht abermals auch Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche, der seit kurzem auch Vorstandsvorsitzender der Karl-May-Stiftung ist. Wendsche hat als Oberbürgermeister bei der Besetzung des Postens ein Vetorecht, von dem er zwar bei einem anderen Bewerber Gebrauch machte, nicht aber beim Neurechten Bernig. Wendsche versuchte sich mit Verweis auf politische Neutralität herauszureden, etwas, was die Opposition in Radebeul nun kritisiert. So heißt es in einer Pressemitteilung der Fraktion Bürgerforum/Grüne/SPD im Radebeuler Stadtrat, die Fraktion widerspreche „entschieden der Aussage von Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos), er habe aus Respekt vor einer demokratischen Entscheidung sein Einvernehmen zur Wahl von Dr. Jörg Bernig zum Leiter des Kulturamts nicht verweigern können. In der Stadtratssitzung vom 20. Mai 2020 war der Autor rechtslastiger Schriften für dieses hohe Verwaltungsamt gewählt worden. Noch in der Sitzung erteilte der Oberbürgermeister sein Einvernehmen mit der Entscheidung und forderte die Räte auf, vor die Tür zu treten und Herrn Dr. Bernig zu gratulieren. Damit war Wendsche der erste, der das Gebot mißachtete, nicht-öffentlich beratene Inhalte an die Öffentlichkeit zu tragen. Genau dies wirft er nun einzelnen Stadträten vor, welche die Meldung hinterher in den sozialen Medien verbreiteten und droht diesen unter Verweis auf § 37, Absatz 2 der Sächsischen Gemeindeordnung mit Sanktionen. Dabei gilt dieser Paragraf ausdrücklich auch für den Bürgermeister.“ Wendsches Begründungen seien „an den Haaren herbeigezogen“ und seien „offensichtlich vorgeschoben und nicht tragfähig“, so Stadtrat Thomas Gey (SPD). „OBM Wendsche ist leider nicht kritikfähig. Sachverhalte werden nur scheibchenweise eingeräumt, Halbwahrheiten sollen den Blick auf politische und handwerkliche Fehler vernebeln“, so Gey.

So fällt Radebeul erneut mit negativen Schlagzeilen auch in der überregionalen Presse auf. Süddeutsche Zeitung, MDR und der Deutschlandfunk griffen das Thema unter anderen Medien auf, die Sächsische Zeitung sprach vom „Kemmerich-Effekt von Radebeul“.

Im KARL MAY & Co.-Interview brachte der bisherige Direktor des Karl-May-Museums, Dr. Christian Wacker, zum Ausdruck, er sei von der Meldung zu Bernigs Wahl „geschockt“. Wacker weiter: „Ich kenne den Herrn nicht, aber das, was man über ihn in Erfahrung bringen kann, stimmt nicht sehr hoffnungsfroh, dass das mit Karl May und dessen Werten, die auch in der Stiftungssatzung verankert sind, in Einklang zu bringen ist.“