Im Herbst sprachen wir mit ihm noch über seine Visionen für die Festspiele Burgrieden, nun muss Textbuchautor, Regisseur und Schauspieler Michael Müller wie so viele andere hilflos zusehen, wie seine für dieses Jahr geplante Inszenierung des „Old Surehand“ auf das kommende Jahr verschoben werden musste.

Einen als Ersatz für Anfang September anberaumten Tag der offenen Tür mit Live-Hörspiel von „Old Surehand“ sagte man jüngst vor dem Hintergrund fehlender organisatorischer Spielräume ebenfalls ab. Ein Gespräch über die Sorgen und Nöte einer Karl-May-Bühne in Zeiten von Corona und warum Zweikämpfe im Fußball erlaubt sind, im staubigen Sand von Burgrieden aber nicht.

Michael Müller, seit 2018 Regisseur und Buchautor der Festspiele Burgrieden (siehe das ausführliche Interview in KARL MAY & Co. Nr. 159), ist auch Teilnehmer der Benefizlesung „Winnetou@home“ von KARL MAY & Co. Das Projekt möchte auch auf die schwierige Situation von Schauspielern in der Corona-Krise aufmerksam machen – das ganze KARL MAY & Co.-Team ruft in diesem Zusammenhang zu Spenden an die Aktion #KunstNothilfe auf (weitere Informationen auf der Aktionsseite von KARL MAY & Co.).

Michael, wie geht es dir, wie geht es dem Team?

Mittlerweile habe ich mich mit der Situation abgefunden. Die Möglichkeit des Nichtspielens war ja schon länger im Gespräch. Lange Zeit fuhren wir zweigleisig, so dass man alles aufrechterhielt, um in den Probenbetrieb gehen zu können, für sich aber auch die Alternative zu bewegen, wie sich die Absage anfühlen würde. Deswegen hat es einem nicht den Boden unter den Füßen weggezogen, weil man sich daran gewöhnen konnte. Im Moment fühlt es sich aber noch sehr leer und unvollständig an. Es ist deshalb sehr traurig, weil wir vor einer grandiosen Saison standen: Die Kulissen standen so früh wie noch nie, ein tolles Ensemble mit vielen neuen Statisten. Für mich persönlich besteht nun die Herausforderung darin, diese Energie für das nächste Jahr zu behalten. Nicht in einen Wahn zu verfallen, das Buch nochmals zu lesen, sondern es ruhen zu lassen. Wir haben einen engen Kontakt zum Team, dem gegenüber wir von Anfang an transparent waren. Von unseren Schauspielern haben wir eine mündliche Zusage für das nächste Jahr.

„Irgendwie schweißt so eine Krise ja auch noch mal mehr zusammen.“

Das Ensemble bleibt also bestehen?

Um den festen Kern unserer Leute, wie etwa unseren Old Surehand Ferdinand Ascher oder unser bewährtes Blutsbrüderpaar mache ich mir da keine Gedanken. Wir arbeiten sehr gerne zusammen, und irgendwie schweißt so eine Krise ja auch noch mal mehr zusammen.

Die Theaterbranche liegt gerade allgemein am Boden…

Im Moment ist es mir untersagt, zu arbeiten. Seit dem 8. März sind mir meine Vorstellungen, die ich mit dem Tourneetheater gespielt habe, weggebrochen. Seitdem spiele ich nicht mehr, und bei den Festspielen, bei denen für mich die heiße Phase immer von April bis September geht, bin ich in Kurzarbeit, was natürlich auch einen finanziellen Verlust bedeutet. Viel größer ist allerdings im Moment die Angst, wie es im Theater weitergeht. Werden Gastspiele, angesichts der unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern, funktionieren können? Ich fürchte, dass da noch viel passieren muss, um in eine Normalität zu kommen. Ab Oktober soll ich in München proben – ich hoffe, dass das stattfindet.

„Gerade ist man noch mit Vollgas in Besprechungen über die Pyrotechnik, Pferdeszenen oder mit dem Stuntchoreographen, und plötzlich kommt so eine Bremse.“

Wie füllst du die neugewonnene Freizeit?

Das ist eine vollkommen neue Situation, mit der man erst mal zurechtkommen muss. Gerade ist man noch mit Vollgas in Besprechungen über die Pyrotechnik, Pferdeszenen oder mit dem Stuntchoreographen, und plötzlich kommt so eine Bremse und man gerät in so eine eigenartige Trägheit rein, die ich mir aber nicht ganz leisten kann. Es war immer schon mein Wunsch, ein eigenes Kindermusical zu schreiben. Dann haben wir auch im Rahmen eines Tags der offenen Tür eine öffentliche Lesung des Stückes geplant, für die das Buch entsprechend überarbeitet werden musste (Diese Lesung wurde inzwischen abgesagt; Anm. d. R.). Dinge, die sich für den Zuschauer visuell ergeben, müssen bei so einem Abend gelesen und erklärt werden. Ich möchte auch Sprecherdemos anfertigen, wie ich auch an der Benefizlesung „Winnetou@home“ für KARL MAY & Co. teilnehme. Und dann gibt es natürlich noch die persönlichen Dinge, die jeder kennt: Man hat sich den Garten schön gemacht, den Keller aufgeräumt und verbringt viel Zeit mit der Familie.

„Es gibt viele Kollegen, die aber nicht so unbeschadet durchkommen. Nicht jedes Theater ermöglicht diese Art der Kurzarbeit, nicht jedes Theater fängt sein Personal auf, weil sie es schlicht und ergreifend einfach nicht können.“

Konnten alle im Team gleichermaßen gut mit der Situation umgehen?

Es war ein sehr unterschiedliches Mitfiebern, Abwägen, Bangen, Hoffen. Aber ich glaube, wir konnten alle ganz gut auffangen. Wir haben sehr schnell sehr klar über unsere Möglichkeiten gesprochen. Wir haben unser Ensemble mehr als einmal – natürlich unter allen Vorsichtsmaßnahmen – an der Bühne versammelt und uns ausgetauscht. Wenn jemand mehr Redebedarf hatte, waren die Geschäftsführung und ich immer offen, sei es über WhatsApp oder Telefon. Es gibt viele Kollegen, die aber nicht so unbeschadet durchkommen. Nicht jedes Theater ermöglicht diese Art der Kurzarbeit, nicht jedes Theater fängt sein Personal auf, weil sie es schlicht und ergreifend einfach nicht können. Man darf nicht vergessen, dass viele Kollegen nicht das Glück hatten, viel gedreht zu haben oder viele Ersparnisse zu haben. Für jeden, der sich nach der Schauspielschule in die freiberufliche Künstlerszene wagt, ist das mit großen Ängsten und auch Risiken befangen. Da schlägt so eine Krise völlig rein, und ich glaube, dass da viele auf der Strecke bleiben werden. Nicht jeder packt den Switch von der Bühne an die Supermarktkasse.

Mein persönliches zweites Standbein wäre die Gastronomie, da ich lange vor der Schauspielausbildung eine Ausbildung zum Hotelfachmann gemacht habe. Ich kann nur hoffen, dass die Hilfen tatsächlich ankommen. Ich meine, in Bayern sind es 3000 Euro – wenn ich in München lebe, komme ich damit eineinhalb Monate weit. Auch wir als Festspiele Burgrieden stecken das nicht einfach so weg. Für uns ist es eine große Herausforderung, im nächsten Jahr qualitativ dort anzuknüpfen, wo wir 2019 aufgehört haben. Für ganz viele Anfänger befürchte ich aber, dass das wirklich das Aus bedeutet.

„Da war auch das Feedback unseres Publikums grandios, es gab viel Zuspruch und Anteilnahme in den sozialen Medien, von den Fachzeitschriften, dem Rundfunk. Da fühlten wir uns getragen, und das ist sicherlich noch wichtiger als zu sehen, wie es jetzt finanziell weitergeht.“

Geld ist nicht alles. Wie sieht es mit behördlicher Unterstützung aus?

Wir standen schon in einem großen Austausch mit sämtlichen Ämtern und Stellen, beispielsweise dem Gesundheitsamt oder dem Landratsamt, von denen wir gerne gewusst hätten, wohin die Reise geht. Da ging es etwa um verschiedenen Hygiene-Konzepte, etwa, dass wir unseren Umritt sperren, um großzügiger bestuhlen zu können oder um in den erfahrungsgemäß eher weniger gefragten äußeren Blöcken Platz zu schaffen für ängstliche Besucher. Auch für Backstage gab es viele Konzepte, und der Austausch war letztlich gut – wir waren auch gut beraten, was eventuelle Förderungen angeht. Damit sind wir auch emotional aufgefangen worden. Es ist ja nicht natürlich, dass man nicht weiß, wie es weitergehen soll und trotzdem freudig zur Arbeit geht. Da war auch das Feedback unseres Publikums grandios, es gab viel Zuspruch und Anteilnahme in den sozialen Medien, von den Fachzeitschriften, dem Rundfunk. Da fühlten wir uns getragen, und das ist sicherlich noch wichtiger als zu sehen, wie es jetzt finanziell weitergeht. Man muss halt auch sehen, was das künftig für Einschränkungen für eine so junge Bühne mit sich bringt, etwa auf einen kompletten Neubau des Bühnenbildes zu verzichten. Wie schwer wir tatsächlich getroffen worden sind, lässt sich noch nicht ganz absehen.

„Was mich verärgert, ist die Situation, dass wir im Sport, im Tourismus, spezieller im Fußball oder Flugzeug, Lockerungen haben, wo Maskenpflicht aufgehoben wird, wo ein Mindestabstand nicht relevant ist. Zweikämpfe im Fußball sind ohne Maske erlaubt, auf der Bühne dürfte ich das nicht inszenieren.“

Bei allem Verständnis für die aktuellen Gegebenheiten bleibt aber manches auch weniger nachvollziehbar?

Im Ausland konnte man schreckliche Folgen beobachten, und wie unsere Regierung reagiert hat, ist sicherlich richtig. Das würde mir auch gar nicht zustehen, es zu kritisieren. Dem ist es bestimmt auch zu verdanken, dass wir im Moment so dastehen, wie wir es tun. Was mich verärgert bzw. was ich nicht nachvollziehen kann, ist die Situation, dass wir im Sport, im Tourismus, spezieller im Fußball oder Flugzeug, Lockerungen haben, wo Maskenpflicht aufgehoben wird, wo ein Mindestabstand nicht relevant ist. Zweikämpfe im Fußball sind ohne Maske erlaubt, auf der Bühne dürfte ich das nicht inszenieren. Eine Karl-May-Inszenierung ohne die typischen Schlägereien funktioniert nicht, und ich finde, da kommen wir in ein Ungleichgewicht. Mir ist klar, dass es gar nicht möglich ist, für jede Bühne ein individuelles Konzept zu erarbeiten, aber das Ungleichgewicht ist sehr groß, und das führt zwangsläufig zu einer Empörung. Da ist die Frage angebracht, was ist denn im Fußball anders? Ich mag Fußball auch, aber die Frage ist schon angebracht, wieso das Risiko erlaubt ist, wenn zwei Fußballer ohne Maske in den Zweikampf gehen. Theater sind die ersten, die dicht gemacht wurden, und die letzten, die wieder aufmachen, dazwischen kommt der Fußball, und wenn man dann noch hört, dass sich der eine oder andere Fußballtrainer beschwert, dass es jetzt so viele Spiele hintereinander seien, dann schaltet man den Fernseher ab und sagt sich, da haben wir gerade andere Probleme. Dieses Ungleichgewicht wird immer größer, und irgendwann kommt der persönliche Groll dazu und auch die Angst davor, dass wir irgendwann im Sommer denken, hätten wir doch gespielt. Aber anscheinend hat das nicht dieselbe Brisanz wie Fußball oder Tourismus, hat die Kulturlandschaft nicht diesen Stellenwert, wenngleich auch hier viele Existenzen daran hängen und ein Publikum wartet.

„‚Systemrelevant‘ – ich sehe das auch als Unwort – ist irgendwann auch die Kultur. Kunst darf nicht zum ‚nice to have‘ werden. Kultur ist nicht nur plumpe Unterhaltung, die da sein darf, wenn es uns allen gut geht.“

Was zu der Frage führt, ob Kunst „systemrelevant“ ist.

Es ist ein sehr heikles Thema. Ich verstehe, dass es wichtiger ist, ein Krankenhaus aufrecht zu erhalten als ein Museum. „Systemrelevant“ – ich sehe das auch als Unwort – ist irgendwann auch die Kultur. Man sprach auch von Gotteshäusern als nicht „systemrelevant“ – für viele Menschen sind sie das allerdings schon – gerade in diesen schweren Zeiten. Der Bedarf nach Kultur ist da, ich denke nur an die vielen Menschen, die jetzt zuhause sitzen, Serien und Konzerte streamen. Kunst darf nicht zum „nice to have“ werden. Kultur ist nicht nur plumpe Unterhaltung, die da sein darf, wenn es uns allen gut geht. „Systemrelevanz“ im Sinne von: das Überlebenswichtigste, also ein Krankenhaus, wird aufrechterhalten und der Schauspieler bleibt mal für fünf Wochen zuhause, ist das eine, aber eine Einteilung in wichtig – unwichtig darf nicht sein, was aber die Konsequent ist, wenn man weiterhin sagt, dass ist nicht „systemrelevant“. Man wird es merken, wenn die Kultur ausblutet.

So eine Denkungsart entwertet deine Arbeit…

Als Bühnenkünstler habe ich mich an das eine oder andere Vorurteil gewöhnt. Wenn das jetzt aber grundsätzlich politisch wird, trifft einen das schon sehr.

Zu Beginn der Krise ließ sich etwa in den sozialen Medien ein gewisses Unverständnis dafür beobachten, dass Kunstschaffende mit ihrer Arbeit wie jede andere Berufsgruppe auch ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, wenn etwa Veranstalter im Rahmen des Erlaubten bis zuletzt an Veranstaltungen festhielten.

Wir haben auch darüber diskutiert, ob wir einen Imageschaden erleiden würden, wenn wir spielten. Es würde bestimmt Leute geben, die sagen, wie können die denn in so einer Situation spielen. Aber auch wir sind letztlich ein Wirtschaftsbetrieb. Wenn man selbst von dieser Krise nur in der Art betroffen ist, dass man jetzt beim Einkaufen einen Mundschutz tragen muss, hat man leichter reden als jemand, der davon direkt wirtschaftlich betroffen ist. Es ist gut, dass es von oben eine Norm gab, an die man sich halten kann, und dann muss man Leute auch ihrer Arbeit nachgehen lassen. Ich sprach vom Ungleichgewicht zwischen Fußball und Kultur, aber gleichzeitig würde ich nie den DFB anprangern. Fußball gibt vielen Menschen etwas und ist ein wichtiger Arbeitgeber. Ich finde es unangebracht, wie man sich so weit aus dem Fenster lehnen kann, Betriebe zu verunglimpfen, an denen auch Leben hängen, ich denke auch an die Clubs und Diskotheken, die gar nicht wissen, wann sie wieder öffnen können.

„Das Wichtigste, das wir alle aus dieser Zeit mitnehmen sollten, ist, uns daran zu erinnern, wie wichtig es ist, rücksichtsvoll miteinander umzugehen.“

Stichwort Eigenverantwortlichkeit.

Es ist erschreckend, dass wir eine Pandemie brauchen, damit wir lernen, dass wir an der Bushaltestelle nicht drängeln, wenn der Bus kommt, dass mir der Einkaufswagen des Hintermannes nicht schon im Rücken landet, wenn ich an der Kasse stehe, dass man sich die Hände wäscht usw. Das Wichtigste, das wir alle aus dieser Zeit mitnehmen sollten, ist, uns daran zu erinnern, wie wichtig es ist, rücksichtsvoll miteinander umzugehen.

Interview: Christoph Alexander Schmidberger